Leadership

Führungskräfte und Kreativität

Sechs Anregungen, wie Führungskräfte die Kreativität in ihrem Team fördern können

Lea Herzfeld
Juni 14, 2022
Lesezeit

In der heutigen Zeit werden Organisationskontexte und die sie umgebenden Systeme immer komplexer und die Märkte, auf denen agiert wird, ändern sich stetig. Unter der Prämisse der Wettbewerbsfähigkeit bedarf es immer mehr an Anpassung und Innovation innerhalb von Organisationen. Sollen diese Innovationsprozesse in Unternehmen vorangetrieben werden, so braucht es eine Vielzahl unterschiedlicher Schlüsselkompetenzen, welche es zu erkennen und gezielt einzusetzen gilt. Hierzu zählen unter anderem ein ausgeprägtes Anpassungsvermögen, analytisches Denken, aber auch eine gehörige Portion Kreativität.  

Dabei mangelt es in der Regel in Organisationen nicht an analytischem Verständnis, sondern vielmehr an der Kompetenz, darüber hinaus kreative Ideen für den Innovationsprozess zu entwickeln. Und nicht zuletzt auch an der Fähigkeit, diese als Führungskraft zu fördern. 

So zeigt beispielsweise eine Studie aus dem Jahr 2008, in welcher 765 CEOs befragt wurden, dass die Fähigkeit der Förderung von Kreativität und Innovation in Führungskreisen zwar theoretisch verstanden wird, praktisch aber meist nicht klar ist, was genau zu tun ist.  

Das muss sich ändern! Denn wenn es darum geht, in Unternehmen die besten Voraussetzungen für kreatives Denken zu schaffen, sind Führungskräfte wichtige Treiber. Durch eine partizipative und offene Führungskultur können Mitarbeiter:innen ermutigt werden, von bestehenden Strukturen und Handlungsweisen abzuweichen und Neues zu wagen. Dies geschieht auf zwei Ebenen:  

  1. zum einen durch das Verhalten der Führungskräfte im Alltag und  
  1. zum anderen durch die Rahmenbedingungen, die sie für ihre Mitarbeiter:innen schaffen.  

In diesem Artikel möchten wir uns diese beiden Ebenen einmal genauer anschauen.

1. Das eigene Verhalten der Führungskraft: mit gutem Beispiel vorangehen 

Practice what you preach – das gilt vor allem für diejenigen Führungskräfte, welche gewillt sind, Kreativität in ihren Teams zu fördern. Wenn sie bestimmte Werte und Leitsätze verinnerlicht haben und diese auch tagtäglich aktiv vorleben, so steigert das ihre Authentizität. Das hat dann wiederum einen positiven Einfluss auf die Motivation der Mitarbeiter:innen, die vorgelebten Prinzipien der kreativen Arbeit häufiger im eigenen Handeln aufzugreifen. Hierbei erscheinen insbesondere drei Fähigkeiten als essenzielle Schlüsselkompetenzen:  

  1. Empathie,  
  1. der offene Umgang mit Unsicherheiten sowie  
  1. eine gesunde Prise Pragmatismus.

1.1 Empathie als Top-Führungsfähigkeit

Führungspersonen, die allgemein ein überdurchschnittlich gutes Verständnis für ihre Mitmenschen sowie deren Emotionen und Bedürfnisse entwickeln, verstehen auch ihre Mitarbeiter:innen deutlich besser. So fällt es ihnen auch leichter zu verstehen, wie und wann sie ihre Teammitglieder am besten erreichen und sie unter Einbeziehung individueller Stärken bestmöglich unterstützen können. Anstatt sich selbst ins Zentrum zu stellen, richten sie ihre Aufmerksamkeit auf andere – ganz im Sinne des Servant-Leadership-Ansatzes. Das Potenzial für Kreativität kann mit mehr Empathie besser erkannt und ein gewinnbringender Austausch zielführend gefördert werden. 

Dies hat sich auch kürzlich bei einem unserer Kunden gezeigt. Hier wurde eine umfassende Befragung der Mitarbeiter:innen auf allen Organisationsebenen durchgeführt. Das Ziel der Befragung war es, herauszufinden, welche die konkreten Bedürfnisse der Teams sind und wie die Führungsebene dieses besser in der täglichen Arbeit unterstützen kann. Diese Gespräche haben nicht nur ein Gefühl von Verständnis, Wertschätzung und Vertrauen bei den Mitarbeiter:innen ausgelöst, sondern auch zu einer Menge wertvoller Erkenntnisse auf der Führungsebene geführt.  

Durch den anschließenden Einsatz dieser neuen Erkenntnisse im Führungsalltag und die damit zusammenhängenden Leitsätze, Prozesse und Routinen kann die Kreativität der Mitarbeiter:innen fortan deutlich stärker gefördert werden. Gleichzeitig hat die Führungsebene ein positives Beispiel für gute und empathische Gespräche gegeben, die in kreativen Innovationsprozessen unabdingbar sind. 

1.2 Der offene Umgang mit Unsicherheiten 

Wenn Führungskräfte transparent mit Unsicherheiten umgehen und diese aushalten können, ist dies ein starkes Signal an die Mitarbeiter:innen, dies ebenso tun zu dürfen. Ein solches Verhalten schafft Raum für das Team, sich selbst auch besser auf Unwägbarkeiten in kreativen Prozessen einlassen zu können und sich dabei nicht von Angst einschränken zu lassen. Um gute Arbeit zu leisten, muss jedes Teammitglied die eigene Komfortzone verlassen dürfen und Fehler machen können, um anschließend konstruktiv daraus zu lernen. Und das muss auch gespürt werden. Bestehendes soll hinterfragt, eigene Ideen mutig eingebracht werden. Indem eine Führungskraft vorlebt, dass Kreativität stets ein ergebnisoffener Prozess ist, bildet sie die Grundlage für ein kühnes und frustrationstolerantes Team. 

In der designgetriebenen Innovation ist dies eine wichtige Haltung. Gerade in der Phase der Design-Research sind diese Offenheit und Verletzlichkeit die Basis für die nächsten Schritte. Das sogenannte Beginner’s Mind kann uns dabei helfen, besser auf unser Gegenüber einzugehen und Kontexte unvoreingenommener zu verstehen. Dieses buddhistische Prinzip besagt, dass die Welt so betrachtet werden soll, als wüsste man nichts über sie und als würde man alles zum ersten Mal sehen und erfahren.  

Das mag zwar dem in Führungsebenen vorherrschenden Paradigma, dass Macht auf Wissen beruht, widersprechen, für den Innovationskontext ist es aber sehr förderlich. Denn in diesem Zusammenhang kennt niemand die richtige Lösung und es geht nicht darum, sich mit Wissen zu profilieren. Es geht darum, gemeinsam im Prozess zu lernen. 

1.3 Mut zur Lücke – der 80/20-Pragmatismus  

Entgegen vieler Grundsätze, welche im Arbeitsalltag gelebt werden, sollten Führungskräfte mit ihren Teams im Kontext von Agilität, Kreativität und Innovation nicht den vollendeten, perfekten Zustand anstreben. Einen solchen Zustand gibt es hier nämlich in den meisten Fällen nicht. Vielmehr erinnern wir uns mit Blick auf das Pareto-Prinzip daran, dass in 20 % der Zeit bereits 80 % der Arbeit geleistet werden können. In den übrigen 80 % der Zeit beschäftigt man sich meist mit Details, welche wiederum die übrigen 20 % des Ergebnisses ausmachen. Es ist daher ratsam, in der Konzept- und Ideenentwicklung pragmatisch vorzugehen und sich auf eine 80 %-Lösung zu konzentrieren. Es muss nicht perfekt sein, es muss „fit for purpose“ sein, also gut genug, um den Zweck zu erfüllen. 

Ein Beispiel hierfür, ebenso aus der designgetriebenen Innovation, sind Ideenkonzepte und Prototypen. Hier ist die Prämisse klar: lieber früher testen und lernen, anstatt alles perfekt zu präsentieren und sehr viel Arbeit und Zeit in etwas zu investieren, das letztlich ohnehin wieder verändert wird. Auch hier sollte dieser „Mut zur Lücke“ von Führungskräften nicht nur angesprochen, sondern auch vorgelebt werden.

2. Rahmenbedingungen für Mitarbeitende: anderen den Weg ebnen 

Damit Kreativität in Innovationsprozessen über das Geben eines positiven Beispiels hinaus weiter gestärkt werden kann, müssen auch die richtigen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen geschaffen werden. Schauen wir uns mal drei Wege genauer an, welche zu einem „gesunden“ Rahmen führen können. 

2.1 Kreativität darf Grenzen kennen 

Ein Team in seiner Kreativität zu fördern, bedeutet nicht nur, grenzenlose Freiheit zu schaffen. Auch wenn es auf den ersten Blick merkwürdig scheint: Im Kreativprozess können gewisse Vorgaben durchaus sinnvoll und hilfreich sein. In einem vorgesteckten Rahmen können Menschen häufig besser arbeiten als ohne jede Regel, freischwebend im Raum der unbegrenzten Möglichkeiten. Rahmenbedingungen geben Halt und Orientierung, bieten einen Startpunkt, reduzieren Komplexität und beugen Entscheidungsschwierigkeiten vor. Darüber hinaus können sie der eigenen Arbeit mehr Sinn geben, da sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das Entwickelte auch tatsächlich umgesetzt werden kann. 

Meistens sind in Projekten durch bestehende personelle, zeitliche oder finanzielle Ressourcen sowie Strategien ohnehin schon erste Grenzen gesetzt. Diese klar zu formulieren sowie zu jedem Zeitpunkt transparent gegenüber dem Team zu kommunizieren, ist wichtig. Nur so kann die Anschlussfähigkeit zukünftiger Lösungen in der Organisation sichergestellt werden.  

Doch nicht alle Informationen sind für das Team gleich hilfreich bei der Umsetzung eines kreativen Projektes. Hier ist es wichtig, die Rahmenbedingungen weder zu weit noch zu eng abzustecken. 

2.2 Trust the process 

In kreativen Projekten und Innovationsprozessen ist es besonders wichtig, die richtigen Fragen zu stellen und dem eigentlichen, oft tieferliegenden Problem auf den Grund zu gehen. Nur wer die richtigen Fragen stellt, kann auch eine passende Lösung entwickeln. Diesem Prozess des Erkundens muss man vertrauen. Einige der zu Beginn getroffenen Annahmen stellen sich nach ersten Untersuchungen oftmals als unzutreffend heraus.  

Für Menschen in Führungspositionen mag es im Sinne der ökonomischen Effizienz herausfordernd sein, viel Zeit und umfangreiche Ressourcen in den Prozess und die dabei entstehenden Erkenntnisse zu investieren statt nur in das Ergebnis. Meist auch noch, ohne eine konkrete Vorstellung davon zu haben, was am Ende dabei herauskommt. Ein solcher Prozessfokus bedarf eines gewissen Maßes an Zuversicht und widerspricht der immer noch sehr weit verbreiteten ergebnisorientierten Führungskultur. Doch es lohnt sich: Am Ende kann durch den Fokus auf einen guten Prozess die inhaltliche Qualität des Ergebnisses signifikant erhöht und schließlich die Ressourcenverschwendung reduziert werden. 

2.3 Fehler gehören dazu 

Ein offener und ehrlicher Umgang von Führungskräften mit Unsicherheiten und Misserfolgen kann helfen, ein Fundament für psychologische Sicherheit im Team zu kreieren und damit verbunden eine konstruktive Fehlerkultur für Mitarbeiter:innen eines Unternehmens zu etablieren. Erfolgreiche Teams machen im Schnitt nämlich nicht mehr oder weniger Fehler als andere. Der einzige Unterschied ist, dass erfolgreiche Teams darüber sprechen und gemeinschaftlich daraus lernen.  

Beim Konzept der psychologischen Sicherheit werden also konstruktive Gespräche über Fehler genau dann ermöglicht, wenn in Teams eine Atmosphäre von Offenheit, Respekt und gegenseitigem Vertrauen herrscht. Dieses Vertrauen bildet die Grundlage dafür, dass Teammitglieder ungeschönt und ehrlich von negativen Erfahrungen berichten können. Sie lernen, dass die Führungskraft wie auch das Team hinter ihnen stehen, und sie verstehen, dass das Teilen der Fehler zu einem besseren Ergebnis führen kann. Sochiro Honda, der Gründer des gleichnamigen Unternehmens, kam daher auch zu folgendem Fazit: „Success is 99 % failure.“ Zahlreiche erfolgreiche Produkte beruhen einzig und allein auf einer schier endlosen Iteration aus vorherigen Misserfolgen. Fehlermachen liegt somit in der Natur der Sache. Das zu vermitteln zählt zu den wichtigsten Eigenschaften einer Führungskraft.

3. Das richtige Maß finden 

Leider lässt sich das aber alles nicht immer einfach so umsetzen. Oft erlaubt es die vorherrschende Unternehmenskultur Führungskräften nur bedingt, die oben beschriebenen Werte zu leben und auch zu fördern. Dadurch ergibt sich dann ein Spannungsfeld. Übergeordnete (oft veraltete) Unternehmenswerte auf der einen Seite, der Wunsch nach und der Bedarf an Kreativität und Freiraum auf der anderen. In vielen Fällen wird der Erfolg von Führungskräften und Teams an kurzfristig messbaren, monetären Parametern gemessen, weniger an Kreativität, Innovation oder gar an Mitarbeiterzufriedenheit.  

Dabei muss Führung nicht immer rigide und vorgebend oder stets flexibel und partizipativ sein. Ein Führungsverständnis sollte frei von dichotomischen Führungsbildern sein und ebendie Tools nutzen, die innerhalb der jeweiligen Organisationsbereiche individuell gerade gebraucht werden. 

Ein Fokus von Führung liegt stets darauf, gewisse Unternehmenstätigkeiten und -angebote beizubehalten („exploit“) sowie andere stetig neu zu entwickeln („explore“). Beide Ausrichtungen erfordern unterschiedliche Arbeitsprozesse und somit unterschiedliche Führungsansätze, was die Bedeutung einer offenen, fluiden, bedarfsorientierten Führung nochmals unterstreicht. 

Das Verständnis von Führung sollte daher immer von einem gewissen Maß an Flexibilität geprägt sein. Führungskräfte sollten hierbei die Kompetenz entwickeln, situativ und kontextbezogen zu führen. Dafür ist es wichtig, erkennen zu können, wann Innovation und damit auch ein gewisses Maß an Kreativität notwendig sind. Um Mitarbeiter:innen zu befähigen neue Ideen zu entwickeln, müssen Führungskräfte einen kleinen Nukleus aufbauen, in dem ein ganzes Team nach den oben beschriebenen Prinzipien kreativer Arbeit operieren kann. Auch wenn die Organisation selbst nach einem eher klassischen Führungsbild arbeitet. 

Nur dann kann sichergestellt werden, dass Führung genau das Maß an Freiraum für kreatives Denken und Innovation ermöglicht, welches gerade benötigt wird. Sicherlich keine einfache, dafür aber eine äußerst spannende und hochrelevante Aufgabe.  

Quellen: 

Chapman, Marc/Berman, Saul/Blitz, Amy: Rethinking Innovation: Insights from the World’s Leading CEOs. Fast Thinking Books, 2008. 

 

Verfasst von:

Lea Herzfeld

Lea kombiniert Empathie mit Strategie, analytische Fähigkeiten und ein kreatives Mindset. Sie versteht sich als Co-Designerin von Produkten und Services. Mit ihrer Erfahrung in den Bereichen der Kollaborations- sowie Designmethodiken, arbeitet sie ko-kreativ mit Nutzenden, Kunden*innen und Mitarbeitenden zusammen.

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