„Viele kleine Leute, die an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.“ So lautet ein afrikanisches Sprichwort und diese Worte könnten nicht treffender sein, wenn wir über Nachhaltigkeitstransformation in Organisationen sprechen. Denn hierbei sind nicht nur bahnbrechende Technologien und radikale Veränderungen notwendig, sondern insbesondere die Zusammenarbeit und das Engagement vieler Menschen, um eine Kultur des nachhaltigen Handelns zu fördern. Draus entsteht die essenzielle Aufgabe von Führungskräften, diese Menschen zielgerichtet zusammenzubringen und sich selbst neuen Rollen und Kompetenzen gegenüber zu öffnen.
Transformation by design or by desaster?
Bernd Sommer, Professor für Transformationsdesign, und Harald Welzer, Klimaforscher, haben das, was in der Nachhaltigkeitsforschung Konsens ist, auf den Punkt gebracht: „Wir sind an einem Scheidepunkt, an dem Transformation zwangsläufig passiert.“ Die Frage ist nur, wie diese Transformation von statten geht.
Wir alle haben es in der Hand, ob wir uns entweder für eine Transformation „by desaster“ entscheiden, abwarten was passiert, die Konsequenzen ertragen und versuchen, aus den Trümmern, die vielleicht in 50, 100, oder auch 20 Jahren vor uns liegen, etwas Neues aufzubauen. Eine Situation, die heute schon in Ländern Realität ist, die stärker vom Klimawandel betroffen sind. Oder ob wir „by design“ gestalten und durch zielgerichtetes und planvolles Handeln das Bestehende in etwas Neues verwandeln.
„Deutschlands Zukunft steht auf dem Spiel. Die weltweiten Herausforderungen durch den Klimawandel und multiple Krisen sind enorm. Ohne radikale Transformation und konsequente Innovation werden wir unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht halten. Was können Politik und Unternehmen tun?“, so hat es der Bundesverband der Deutschen Industrie in 2023 formuliert. Und trotzdem hört man aus der Praxis immer wieder Stimmen, die Regulatorik einfordern und sagen: „Wenn wir Auflagen bekommen würden, dann würden wir ja …“.
Warum ist die Einflussnahme von Führung für eine nachhaltige Transformation so wichtig?
Wir wollen dafür werben, dass Führungskräfte bei sich anfangen, statt auf andere zu verweisen. Wandel bedeutet immer Umverteilung von Einfluss und Führungskräfte sind in ihren Organisationen diejenigen mit großem Einfluss. Es ist also wichtig im jeweiligen Wirkungsbereich zu reflektieren, wie Führungskräfte mit ihren Möglichkeiten Einfluss zu nehmen, umgehen. Das afrikanische Sprichwort sagt: Viele kleine Menschen in vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern – und nicht: Die Legislative richtet das schon.
Die Frage, die ja auch der Bundesverband stellt, ist – wie gehen wir die großen Herausforderungen an? Die BrandEins hat 2015 getitel: „Scheißjob Führung“, und sich dabei mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass an Führungskräften von allen Richtungen gezogen wird. Führungskräfte müssen unterschiedlichste Parameter gleichzeitig überblicken, Ambiguitäten erkennen und aushalten Kompromisse priorisieren, aushandeln, akzeptieren und kommunizieren, wo es langgeht. Doch diese Klarheit können sie gar nicht haben, denn dafür sind die Herausforderungen der Nachhaltigkeit viel zu komplex und vielschichtig.
Führungskräfte von heute gestalten den Wandel von morgen.
Wo Führungskräfte traditionell für „Jetzt-für-uns-heute“-Entscheidungen ausgebildet wurden, erfordert die Nachhaltigkeitstransformation nun aber „Jetzt-für-andere-morgen“- Entscheidungen. Wo sie in der Vergangenheit „nur“ den Shareholder-Benefit treuhänderisch maximieren mussten, sehen sich Führungskräfte heute mit der Herausforderung konfrontiert, die vielfältigen und komplexen Bedürfnisse einer Vielzahl von Anspruchsgruppen zu verstehen, in eine Geschäftslogik zu übersetzen und auszutarieren.
Führungskräfte sind zu Gestalter:innen des Dazwischenseins und des Unterwegsseins geworden. Sie sind verstrickt zwischen Übergängen, in denen Entscheidungen nur noch widersprüchlich zu sein scheinen, sich manchmal auch unzweckmäßig anfühlen und möglicherweise zu einem Flickenteppich von Einzelmaßnahmen führen.
Führungsarchetypen für eine nachhaltige Zukunft
Führungspersönlichkeiten von heute gestalten den Wandel hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft und Gesellschaft von morgen. Was daraus resultiert sind vielfältige neue Rollen und umfangreiche Kompetenzen, die Führungskräfte einnehmen und mitbringen müssen.
Lose angelehnt an eine Studie der Bertelsmannstiftung, die sich mit Führung und Nachhaltigkeit auseinandersetzt, haben wir aus unserer Beratungserfahrung vier Führungsarchetypen entwickelt.
Führungskräfte als Visionär:in:
Visionäre finden wir beispielsweise bei Hansgrohe, ein Partner, mit dem wir seit vielen Jahren arbeiten. Vor gut einem Jahr hat Hansgrohe ihre „Green Vision Beyond Water“ ins Leben gerufen. Die stärkere Regulierung von Wasserdurchflussmengen in ihren Produkten, hat Hansgrohe zum Anlass genommen, ihren Umgang mit Wasser als schützenswerter Ressource zu hinterfragen.
Dabei hätten sie durchaus die Wahl gehabt, lediglich das Minimum zu erfüllen, also Produkte so nachhaltig zu konzipieren, dass sie unter gegebener Regulatorik noch in den Markt kommen würden. Aber Hansgrohe hat schnell festgestellt, dass es eigentlich viel mehr bräuchte und „so viel Nachhaltigkeit, wie wirtschaftlich möglich“ das schönere Ziel wäre. Und daraus ist die Green Vision entstanden: 90% weniger Wasser, 90% weniger Energie und damit 90% weniger CO2- Emission im Bad mit grundlegend neuen Produkten.
Ein Beispiel, wie Hansgrohe diese Vision erfüllen will, ist die SPHERE. Ein spekulativer Prototyp davon, wie das Bedürfnis nach Wellness und Entspannung beim Baden ohne 150L Trinkwasser erfüllt werden könnte.
Was macht also ein:e Visionär:in aus?
Sie guckt über die Grenzen dessen hinaus, was gefordert wird, erkennt Trends und entstehende Logiken und orientiert sich radikal am Übermorgen. Sie macht Dinge greifbar: Prototypen dieses Konzepts zur wasserlosen Regeneration stehen auf Messen, oder im Foyer, so dass Kund:innen und Mitarbeitende damit interagieren und verstehen können: Wohin könnte die Reise gehen? Was ist für mich drin? Was könnte ich das über das Minimum hinaus geht?
Führungskräfte als Begleiter:in:
Eine Nachhaltigkeitstransformation birgt enorme Komplexität und Vielseitigkeit: Von Wertschöpfungsprozessen, Biodiversität, neuen Kompetenzen, Inklusion, Nachhaltigkeits-KPIs … die Liste endet nicht und erinnert an die Digitalisierung, die mit ähnlichem Facettenreichtum aufwarten kann.
Schon in der Digitalisierung haben wir beobachtet, dass Big Bosses, die jahrelang per Geniestreich die To Do Listen ganzer Divisionen vordiktiert haben, eine Glaubwürdigkeitserosion erlebten. Wir sind der starken Überzeugung, dass kein Mensch das heute mehr liefern kann. Und trotzdem wird gerade in Umbrüchen die Forderung nach „guter Führung“ laut.
Wer im Mittelpunkt steht, steht auch im Weg.
Pablo Neruda
Was heißt aber „gute Führung“ in der heutigen Zeit? Führungskräfte müssen zu Servant Leadern werden. Sie finden sich in Rollen wieder, in denen sie deutlich mehr Autonomie gewähren und ressourcenorientierter arbeiten.
Ein Beispiel hierfür ist Buurtzorg. Buurtzorg ist ein Pflegeunternehmen aus den Niederlanden, die 14.000 Mitarbeitende und ganze 50 Manager:innen haben. Die Führungskräfte bei Buurtzorg sind in erster Linie dafür da, um zu begleiten und zu coachen.
Was also macht die Begleiter:in aus?
Um es mit Pablo Nerudas Worten zu sagen: Wenn man als Führungskraft in einer Nachhaltigkeitstransformation im Mittelpunkt steht, oder stehen will, dann steht man wahrscheinlich auch im Weg. Begleiter:innen nehmen sich selbst aus dem Fokus und gehen achtsam mit ihrer Rolle um. Sie führen ihr Team mit Empathie und Vertrauen und befähigen zu mehr Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung. Dabei ermutigen Begleiter:innen Mitarbeitende, ihre Ideen und Gedanken zu teilen und schaffen ein Umfeld der psychologischen Sicherheit, das innovatives Denken fördert.
Führungskräfte als Agent:in:
Führung zu Zeiten der Nachhaltigkeitstransformation bedeutet auch organisationale Hürden zu überwinden, konventionelle Erfolgsmuster zu hinterfragen, neue Experimente zu wagen und Misserfolge zu analysieren. Das erfordert Agent:innen des Wandels, die Veränderung nicht mit dem Hammer, sondern dem Hirn vorantreiben und den Mut haben, Entscheidungen nach neuen Mustern zu treffen.
Ein Beispiel dafür ist das kalifornische Outdoor-Unternehmen Patagonia. Patagonia bezeichnet seine Führungskräfte als „Politische Bürger:innen“ und „Aktivist:innen“.
Das Statement, dass die bekannte Outdoor-Marke nicht mehr wachsen will, sorgte 2021 in den Medien für Irritation. Statt des üblichen „schneller, höher, weiter“-Mottos, verordnet CEO Ryan Gellert eine Wachstumsbremse: „Immer grösser zu werden, heißt nicht zwingend, effektiver zu sein. Wir wollen unsere Anliegen jetzt vom Wachstum entkoppeln“.
Patagonia wollte, eine neue Definition für Erfolg finden und in den Umsatzzahlen jede Referenz zu Wachstum eliminieren. Dafür sollten neue Aspekte wie die Umweltverträglichkeit mitberücksichtigt werden. Dadurch verändert Patagonia oft unverrückbar erscheinende Incentivierungsstrukturen und Messzahlen.
Neben diesen neuen Metriken finden wir besonders spannend, dass Patagonia Klimaneutralität nicht als Projekt mit einem Start- und einen Endpunkt sieht, sondern Veränderung als nie fertigen und stetig neu zu erfindenden Prozess betrachtet. So kündigt das Unternehmen im großen Stil an, nach dem Motto „Don‘t buy this jacket“ nun ins Second-Hand Geschäft einzusteigen.
Was lernen wir von Patagonia?
Besonders zwei Aspekte sind für eine Führungskraft als Agent:in des Wandels wichtig:
- Eingeschliffene Führungsmuster zu verändern, ist langwierig. Also braucht es Hartnäckigkeit und Ausdauer. Agent:innen des Wandels stellen das Einheitsdenken infrage und motivieren auch andere, nach neuen Informationen und Alternativen zu suchen. Sie sorgen dafür, dass das ganze Team unabhängiger denkt.
- Es gibt keine Pausen und keine Ziellinie, die man erreichen kann, um dann erst einmal zu verschnaufen. In einer volatilen Welt voller Herausforderungen und Unwägbarkeiten ist es eine Reise, die nie zu Ende geht. Die Zukunft wartet nicht, bis alle dafür bereit sind. Sie ist längst da.
Führungskräfte als Architekt:in:
Unternehmen fällt es zunehmend schwer, die heutigen komplexen und globalen Herausforderungen alleine zu stemmen. Die besten Führungskräfte denken über das eigene Unternehmen hinaus. Sie vernetzen, bauen Brücken und moderieren die Zusammenarbeit – sie verstehen, dass sie in gegenseitiger Abhängigkeit mit anderen Menschen, anderen Lebewesen und Ökosystemen stehen und sie es letztlich nur gemeinsam schaffen zu gedeihen.
Nachhaltigkeit kann nur als Gemeinschaftswerk gelingen.
Angela Merkel, 2016
Ein Beispiel aus unserem eigenen Kundenstamm:
Unsere Ansprechpartnerin, verantwortlich für das Thema Nachhaltigkeit in einem Finanzinstitut, stellte fest, dass ihre eigene Institution nicht im Alleingang Lösungen für nachhaltige Finanzprodukte umsetzen kann. Sie dachte über die eigene Organisation hinaus, um eine neue Sichtweise auf Fähigkeiten, Kunden, Märkte, Technologien und Behörden zu finden. Dafür suchte sie sich externe Führungskräfte aus ihrem Netzwerk und lud zur Ko-Kreation ein. Dabei übernahm sie die Aufgabe eines Katalysators, und brachte etablierte Finanzinstitute in einem Ökosystem zusammen.
Was lernen wir aus dem Beispiel?
- Führungskräfte, die die Welt heute braucht, nutzen ihre Fähigkeiten, um nachhaltige Innovationen nicht nur innerhalb des eigenen Unternehmens, sondern auch über andere Organisationen und Ökosysteme hinweg voranzutreiben.
- Sie bauen neue Kompetenzen im Unternehmen auf, motivieren Mitarbeitende, mit Personen außerhalb der Organisation zusammenzuarbeiten, bahnen die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Parteien an und schaffen gegenseitiges Vertrauen.
Take aways
Führungskräfte sind verantwortlich dafür, sich bei der Gestaltung der Lebensfähigkeit ihrer Organisation auch zu fragen, ob sie mit der Art und Weise ihrer Herstellung leben können.
Wir stecken in der Krise und die Zeit drängt. Anstatt uns in Schuldzuweisungen zu verlieren, gilt es gemeinsam anzupacken und eine Wirtschaft im Einklang mit der Natur und mit uns selbst aufzubauen. Vor uns steht eine der größten Transformationen der Industriegeschichte und dabei kommt Führungskräften eine Schlüsselrolle zu.
Ja, der Job von Führungskräften im 21. Jahrhundert ist schwieriger geworden. Sie müssen höhere Erwartungen erfüllen und schneller Erfolge vorweisen. Es ist leichter, zu scheitern, weshalb viele viele davor zurückschrecken. Führungskräfte müssen unterschiedlichste Parameter gleichzeitig überblicken, Ambiguitäten erkennen und aushalten sowie Kompromisse priorisieren, aushandeln, akzeptieren und kommunizieren. Die Komplexität mag Führungskräfte auf den ersten Blick überwältigen, aber sie sollten sich davon nicht entmutigen lassen.
Wenn wir mit Krisen konfrontiert werden, neigen wir Menschen dazu, auf unser Muskelgedächtnis zurückzugreifen und das zu tun, was wir in der Vergangenheit schon getan haben. Doch der Führungsstil der Vergangenheit wird uns nicht dorthin bringen, wo wir hinwollen. Es ist an der Zeit für eine neue Art von Führungskraft:
- Eine die andere einlädt, zusammen mit ihnen die Zukunft zu gestalten.
- Eine, die nachhaltige Lösungsansätze unterstützt und bereit und fähig ist, die Fülle von Talenten und Leidenschaften um sich herum zu nutzen, um eine bessere Welt zu schaffen
- Eine, die provoziert, auch mal stört, unbequeme Wahrheiten ausspricht und tariert
- Eine, die auch unsichere Innovationsprojekte anstößt, die nicht ihrer vollen Kontrolle unterliegen. Denn für die Art von Innovation, die die Zukunft des Unternehmens sichert, ist genau das nötig: Es braucht die Zusammenarbeit mit internen und externen Partner:innen – und die Bereitschaft, auf dem gemeinsamen Weg Fehler zu machen.
Was sich die Welt nicht leisten kann, dass Führungskräfte sich aus dem Thema Nachhaltigkeit raushalten. Wenn wir nicht in eine Desaster-Transformation steuern wollen, dann ist jetzt die Zeit in die planvolle Gestaltung zu gehen.
Verfasst von:
Dr. Nadja Berseck
Verfasst von:
David Engelhardt