Alle sprechen über Nachhaltigkeit und die daraus entstehende Verantwortung von Unternehmen ist nicht selten ein Grund für die Kaufentscheidung geworden. Kein Wunder also, dass sich viele – um nicht zu sagen alle – Unternehmen mit diesem Begriff „schmücken“ möchten. Mehr als 45% deutscher Manager bewerten Klima- und Umweltschutz gut fürs Image, ziehen daraus aber keine Konsequenzen für ihr Geschäftsmodell. Mit dieser Zielsetzung entsteht nur leider kein wirklicher Wandel.
Um hier zu helfen und einen möglichen Weg hin zu nachhaltigen Geschäftsmodellen aufzuzeigen, stellen wir heute ein Framework vor, mit dem echte Probleme gelöst werden können.
Was ist das RESTART-Framework?
Das RESTART-Framework wurde von den beiden norwegischen Professoren Sveinung Jørgensen und Lars Jacob Tynes Pedersen entwickelt. Das Akronym RESTART steht für die sieben wesentlichen Veränderungen, die notwendig sind, um nachhaltige Geschäftsmodellinnovationen erfolgreich umzusetzen. Wir haben das Framework mit unseren Erfahrungen angereichert und in Circular Business Sprints gemeinsam mit unseren Kund:innen verprobt, um neue Entwicklungspfade für Nachhaltigkeitsinnovation zu eröffnen. Im Folgenden stellen wir dir die einzelnen Elemente des Frameworks im Detail vor.
Re-Design statt Stillstand
Zunächst muss eines klar sein: Stillstand ist keine Option. Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft werden alte Technologien, Produktions- und Konsummuster durch neue ersetzt. Unternehmen werden daher ihre Geschäftsmodelle zukünftig anpassen oder sogar neugestalten müssen. Ohne Veränderung laufen sie Gefahr „genetflixt“ zu werden – sprich durch disruptive Veränderungen aus dem Markt gedrängt zu werden. In Bewegung zu sein, ist daher eine Grundvoraussetzung, um als Unternehmen überleben und langfristig wachsen zu können. Im ersten Schritt geht es also darum, die Veränderungen im Umfeld zu analysieren, das künftige Wertversprechen in Richtung Kunde zu entwerfen und darauf aufbauend value creation (Wie lösen wir die Probleme des Kunden?), value delivery (Mit welchen Ressourcen und Aktivitäten schaffen wir dies?) und value capture (Wie verdienen wir damit Geld?) neu zu denken.
Experimentieren statt Turnaround
Neue, erfolgreiche Geschäftsmodelle entstehen nicht von heute auf morgen. Anstelle des einen großen Wurfs, der alles auf eine Karte setzt, eignen sich kontrollierte Experimente. So wird das Risiko minimiert und in kleinen Schritten validiert, was wie funktioniert. Diese können parallel ablaufen, aber sich in Größe, Scope und Radikalität unterscheiden. So wird solides Wissen über die künftige Geschäftslogik aufgebaut. Ein gutes Beispiel für systematisches Experimentieren liefert Levis: Das Unternehmen stellt nicht nur auf nachhaltig angebaute Baumwolle um, sondern experimentiert auch mit Jeans aus 100 Prozent recyceltem Denim und einer Reihe umweltfreundlicherer Stoffe wie baumwollartigem Hanf und Tencel, einer weichen Faser aus Holz. Wichtig beim Experimentieren ist eine konsequente Stakeholder-Integration. Das bedeutet nicht nur Kund:innen oder Geschäftspartner:innen zu berücksichtigen, sondern bewusst auch indirekt Betroffenen (z.B. lokale Nachbarschaft), schwachen oder vergessenen Gruppen (z.B. mit geringer Kaufkraft) Gehör zu schenken.
Service- statt Produktlogik
Vom Bike Sharing bis zum Fashion Leasing – „Nutzen statt Besitzen“ ist mittlerweile weit verbreitet. Dieses Umdenken hin zu einer Servicelogik verändert bislang übliche Geschäftsmodelle und birgt großes Potenzial für Unternehmen. Sie können ihre Kapazitäten besser auslasten, Ressourcen einsparen und eine intelligente Steuerung der Wertschöpfung ermöglichen. Hinzu kommt: In einer nachhaltigen Wirtschaft, in der Produkte lange halten und reparierbar sind, müssen die daraus resultierenden Umsatzrückgänge durch Services aufgefangen werden. Im Idealfall werden Konsummuster verändert, Hersteller:innen haben Interesse an hoher Qualität und langer Lebensdauer der verliehenen Güter und neue Dienstleistungsökosysteme eröffnen neue Umsatzströme. Allerdings zeigt die Praxis, dass Service-Modelle allein keine Ökoeffizienz garantieren (z.B. erhöhtes Verkehrsaufkommen durch Car-Sharing in Städten). Hierfür braucht es eine systemische Perspektive, die das Geschäftsmodell als Teil einer Wirtschaft, einer Gesellschaft, eines ökologischen Gesamtgefüges sieht. Um diesen Blick zu schärfen, nutzen wir u.a. den Triple Layer Canvas als Erweiterungen zum klassischen Business Model Canvas.
Kreislauf statt Linearwirtschaft (Circularity)
Heutige Geschäftsmodelle folgen weitgehend einer linearen Logik: abbauen, herstellen, konsumieren, entsorgen. In Deutschland fließen aktuell nur rund 12 Prozent der Rohstoffe in Kreisläufen, weltweit sogar nur ca. neun Prozent. Da wir so schnell über unsere planetaren Grenzen hinausschießen, müssen Unternehmen zirkuläre Wertschöpfungskreisläufe aufbauen, in denen Materialien mehrfach verwendet werden. Aber wie? Das Paradigma der Kreislaufwirtschaft liefert drei Antworten:
- Nutzung und Regenerierung von erneuerbaren Ressourcen ins Gleichgewicht bringen, um Ressourcenbestände nicht zu erschöpfen (z.B. Metalle, Mineralien, fossile Brennstoffe, Fischbestände)
- Produkte und Materialien auf einem möglichst hohen Qualitätsniveau halten, damit sie tatsächlich wiederverwendet werden können
- Geringerer Verbrauch von zu schützenden Ressourcen (z.B. Wasser für die Produktion eines Baumwolle T-Shirts) und Wiederverwendung von Produkten erleichtern (z.B. Laptop-Recycling)
Das Geschäftsmodell des norwegischen Herstellers für ergonomische Bürostühle HÅG baut auf diesen Prinzipien auf: Die Stühle werden aus recycelten Materialien hergestellt (1), sie sind langlebig und leicht zu reparieren (2) und können, wenn sie abgenutzt sind, leicht demontiert und ihre Teile in neuen Stühlen wiederverwendet werden (3). Die Produkte „wie neu“ können abschließend zu wettbewerbsfähigen Preisen wiedervermarktet werden. Die Umstellung auf zirkuläre Geschäftsmodelle ist komplex, da die bestehende Wertschöpfungslogik oft von Grund aus neu gedacht werden muss. Doch wenn sie gelingt, ist das eigene Unternehmen robuster und wettbewerbsfähiger aufgestellt.
Allianzen statt Alleingänge
Nachhaltigkeitsinnovationen erfordern Zusammenarbeit. Kein Wunder, denn die heutigen ökologischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen sind komplex, global und können nicht allein gelöst werden. Ein erprobter Weg ist der Aufbau von Ökosystemen, wie beispielsweise das europäische Industriebündnis wear2wear: Die Partner haben es sich zur Aufgabe gemacht, neue Textilien ausschließlich aus recyceltem Material zu fertigen, das erneut wiederverwendet werden kann. Jedes Unternehmen leistet einen individuellen Beitrag im Recycling-Prozess der Kleidung. Solche Allianzen erfordern die Abkehr von isolierten hin zu einer systemischen Sichtweise, bei der Unternehmen zusammenarbeiten und ihre Prozesse auf geschlossene Ressourcenkreisläufe hin ausrichten. Der Wettbewerb wird, wenngleich eingeschränkt, zum Partner, um überschneidende Nachhaltigkeitsinteressen zu identifizieren und durch gezielte Kollaboration diese so zu gestalten, dass alle Parteien davon profitieren. Durch dieses Zusammenspiel sich ergänzender Modelle entstehen Win-Win Situationen für alle Beteiligten. So können Unternehmen einerseits Ressourcenabhängigkeiten überwinden und andererseits Ergebnisse erzielen, die sie im Alleingang nicht erreicht hätten.
Ergebnisorientierung statt Greenwashing (Results)
Nachhaltigkeitsorientierung ist eine bewusste Entscheidung und kein Selbstläufer, denn systemische Kräfte (Wettbewerber, Regularien oder Kundenwünsche) wirken auf das Geschäftsmodell und sind per default erstmal nicht nachhaltig. Um die wichtigen Fragen richtig angehen zu können, ist Priorisierung der Schlüssel. Unternehmen müssen sich die Frage stellen, welche Probleme sie für wen und warum lösen möchten – und welche dieser Probleme für das eigene Unternehmen und die Stakeholder eine hohe Wichtigkeit haben.
All die Nachhaltigkeitsmaßnahmen sollten messbar dazu beitragen, den eigenen negativen Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft zu reduzieren und gleichzeitig die eigenen Einnahmen zu erhöhen bzw. Kosten zu senken. Viele Studien belegen, dass nachhaltige Unternehmen Wettbewerbsvorteile haben, die sich auch indirekt auf die Performance auswirken. So sind sie attraktiver für Fachkräfte, für Investor:innen und Kreditgeber:innen interessanter und bei Kund:innen begehrter. All diese Effekte gilt es bei der Ergebnisorientierung mit einzupreisen.
Darüber hinaus gilt es, Wertschöpfung nicht nur rein finanziell zu optimieren, sondern den Blick zu erweitern: auf alle Stakeholder, Mitarbeitende, den Planeten, ökologische Rentabilität oder verlässliche Beziehungen mit Partnern in der Wertschöpfungslogik. Häufig gibt es Spannungen zwischen dem finanziellen, ökologischen und sozialen Ergebnis – oft kann nur eins optimiert werden. Doch Geschäftsmodellinnovation kann Synergien zwischen den Bereichen herstellen, z.B. verändertes Kundenverhalten, so dass nicht das billigste, sondern das qualitativ hochwertigere Produkt gewählt wird.
Drei- statt Eindimensionalität (Three-Dimensionality)
Das Endergebnis wird dreidimensional. Nachdem die Ziele in sozialer, ökologischer und finanzieller Hinsicht festgelegt wurden, müssen vor allem die richtigen Dinge gemessen, der Fortschritt überwacht und die relevanten Informationen geteilt werden. Einzelpersonen oder Gruppen im Unternehmen, die in der Lage sind, Nachhaltigkeit zu forcieren, sollten belohnt werden. Die Frage hier könnte lauten: Könnten wir Manager:innen nicht daran messen, wie hoch der Materialverbrauch je hergestelltem Produkt ist? Zudem unterstützen Befähigungsformate dabei, Partizipation, Solidarität und zukunftsgerichtetes Denken und Handeln bei den Mitarbeitenden zu verankern. Nur so kann ein Unternehmen gestaltet werden, dass konsequent in die richtige Richtung zieht.
Wollen du und dein Unternehmen wirklich etwas für unseren Planeten tun, aber du bist unsicher, an welchem Punkt ihr derzeit bei eurer Nachhaltigkeitsjourney steht? Unser Nachhaltigkeits-Assessment gibt dir eine erste Orientierung. Gemeinsam finden wir Wege zur Transformation eures Geschäftsmodells. Wir freuen uns auf den Austausch: hello@zero360.de.
Verfasst von:
Dr. Nadja Berseck