Der unsichere Chef – Teil III

Durch unsichere Zeiten führen

Dr. Shamim Rafat
November 29, 2022
3min Lesezeit

Durch unsichere Zeiten führen

Über Unsicherheiten sprechen 

Denken wir zurück an den Ausbruch der Corona-Pandemie: Die Nachrichten überschlugen sich, die Szenarien wurden immer erschreckender. Schnell war klar, dass sich für jedes Unternehmen einiges ändern würde. Verständlicherweise löste das nicht nur bei Führungskräften, sondern auch bei Mitarbeitenden Ängste aus und schnell wurde der Ruf nach Maßnahmen laut, die das Schlimmste abwenden würden. Harvard-Professor John P. Kotter nennt den Modus, in den sich viele nun begaben, den „Überlebensmodus“. Mit diesem Überlebensmodus geht eine interessante Mischung aus Wegducken und Aktionismus einher, die in den seltensten Fällen zielführend ist.  

Die eigentliche Aufgabe der Führungspersonen in solchen Situationen ist, ihre Mitarbeitenden aus dem Überlebens- in den Wachstumsmodus zu führen. Das klappt, indem man nicht nur Strategien präsentiert, sondern eine Grundlage für einen offenen, emotionalen Austausch schafft. Es geht um die Möglichkeit für alle, sich als Mensch gesehen zu fühlen. Und dafür muss sich die Führungskraft zuallererst als Mensch zeigen.  

In meiner ersten Team-Ansprache nach Ausbruch der Corona-Pandemie erzählte ich also von meinen eigenen Gefühlen und Zweifeln und lud meine Mitarbeitenden ein, ihre Sorgen und Ängste zu teilen. Ein solcher Einstieg war mir nur möglich, weil ich zuvor meine eigenen Emotionen reflektiert hatte. Ich schilderte meine Sicht auf die Geschehnisse und versuchte, das Wesentliche hervorzuheben. Eine derartige Einordnung nennt Kotter die Reduzierung von „Lärm“. Sie kann die Situation handhabbarer erscheinen lassen und dadurch Ängste verringern. Zuletzt legte ich meine Einschätzung unserer Handlungsmöglichkeiten dar und lud das Team ein mitzugestalten. 

Die Kommunikation einer „menschlichen“ Führungsperson besteht in unsicheren Situationen also aus einem Dreiklang: „Ich verstehe euch und fühle mich oft genauso“ – „So schätze ich die Situation ein“ – „Darum lasst uns über konkrete Schritte nachdenken, die wir jetzt tun können“. 

Diese Ansprachen waren für mich ein Kraftakt, aber eines weiß ich: Sie legte den Grundstein für eine authentische Kommunikation zwischen dem Team und mir während der gesamten Pandemie und auch in der gegenwärtig angespannten Marktlage seit dem Krieg in der Ukraine. Ich hatte mir selbst die Bürde genommen, als „starker Entscheider“ fungieren zu müssen, und meinem Team die Chance gegeben, den weiteren Weg sowohl menschlich als auch strategisch mitzubestimmen.



Rituale als Sicherheit in unsicheren Zeiten

So wichtig und hilfreich Team-Ansprachen in unsicheren Zeiten auch sind, so sehr sind sie Einbahnstraßen: Nur die Führungsperson kann ihre Inhalte und Emotionen teilen. Ein „menschlicher“ Führungsstil schafft also auch Räume, in denen sich die Mitarbeitenden über ihre Verunsicherung austauschen und konstruktiv in die Situation einbringen können. Die Kommunikation muss in beide Richtungen verlaufen.  

Für das Auffangen der Unsicherheiten des Teams eignen sich insbesondere Rituale. Genauso wie die Angst vor Veränderung und Ungewissheit menschlich ist, liegen Rituale in der menschlichen Natur. Sie geben uns Sicherheit und bieten im organisationalen Kontext den Raum, Erfolge zu feiern und so ein Gefühl des Fortschritts trotz der Ungewissheit zu vermitteln.  

Uns bei zero360 helfen insbesondere zwei bestimmte wöchentliche Rituale, die Gemeinschaft zu stärken und uns über unser Befinden auszutauschen: unser Monday Morning Checkin und unser Team-Jam. Auch in Zeiten des Lockdowns behielten wir diese wöchentlichen Zusammenkünfte des gesamten Teams in digitaler Form bei und haben diese aufgrund veränderter Bedürfnisse während der anhaltenden Pandemie immer wieder iteriert. Diese beiden Formate sind und bleiben auch in der aktuell herausfordernden Zeit wichtige Eckpfeiler unserer Teamkultur.

Der Monday Morning Checkin ist auf 30 Minuten angesetzt und dient dem gemeinsamen Start in die Woche. Wir beginnen zuerst mit einer angeleiteten Meditationsübung. Wir nennen es den achtsamen Start. Im Anschluss werden neueste Entwicklungen kommuniziert, Projekte und Bedarfe im Team transparent gemacht und besprochen. Über ein Update zum Status hinaus kommunizieren wir als Team auf Augenhöhe, in dem wir uns in Breakout-Runden mit 3-4 Personen für ca. 10 Minuten aufteilen. Hierbei steht immer eine Frage im Fokus. Es können systemische Fragen sein wie „Was kannst du Positives aus Veränderungen ziehen?“ oder Fragen, die zur Reflektion in der Kleingruppe anregen, wie „Was waren deine herausfordernden Momente in der vergangenen Woche?“. Jeder kommt zu Wort. Und jeder Beitrag ist wichtig.  

Der Team Jam findet mittlerweile zweiwöchentlich Donnerstags statt und dauert 90 Minuten. Er ist das emotionale Gegenstück zum Monday Morning Checkin. Erfolgserlebnisse, Misserfolge und Erlerntes werden geteilt. Mit dem Team Jam fördern wir unsere Haltung im Umgang mit Unsicherheiten und Fehlern, wir schaffen Vertrauen. Lernerfahrungen werden geteilt und untermauern das Teamgefühl und die Bereitschaft mutig zu sein und auszuprobieren. Zudem richten wir unseren Blick am Ende des Team Jams darauf, wofür in der aktuellen Woche dankbar sind, sowohl bei der Arbeit als auch im Privaten. Dies schafft einen Raum für zwischenmenschlichen Austausch, der im Nachgang in anderen (kleineren) Teamkonstellationen fortgeführt werden kann.




Die Kombination mit strategischen Formaten 

Natürlich darf eines nicht vergessen werden: Auch Formate, die strategische Ziele haben, können menschliche Bedürfnisse auffangen. Die Einbindung von Mitarbeitenden in strategische Krisenformate kann sogar unerlässlich sein, um die Konstruktivität und natürlich die Produktivität zu bewahren. Wir haben bereits über die Taskforces gesprochen. Es handelt sich um hierarchieübergreifende Arbeitsgruppen, die sich mit bestimmten Themen auseinandersetzten, welche durch die Krise bei uns aufgekommen waren (z. B. die Homeoffice-Regelung, die Digitalisierung unserer Kund*innen-Workshops oder die Außenkommunikation). Die Taskforces gaben und geben weiterhin dem Team die Gelegenheit, von einer passiven Verunsicherung in eine aktive, konstruktive Handlung überzugehen – und so die Unsicherheiten nach und nach abzubauen. Der Übergang zwischen strategischen und „menschlichen“ Formaten bleibt also fließend und sollte es auch sein. 


Wie geht es weiter?

Die Welt zeigt es uns wieder und wieder: Die Zeit der selbstsicheren Entscheider*innen, die mit festem Kurs auf den Wogen der Veränderung reiten, ist vorbei. Was wir heute brauchen, ist eine neue Menschlichkeit in Führungspositionen. Nur so kann mit Authentizität, Weitblick und Vertrauen geführt werden. Führungspersonen brauchen die Skills, mit Unsicherheit produktiv umzugehen – und dazu gehört neben strategischen (agilen) Ansätzen vor allem die Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren und andere zu motivieren, dasselbe zu tun. Denn dass die Unwägbarkeiten in den kommenden Monaten und Jahren abnehmen werden, ist wenig wahrscheinlich. Unsicherheit ist ein menschliches Gefühl – und wir werden erst gegen sie gewappnet sein, wenn wir uns zugestehen, ab und zu nicht gewappnet zu sein.  

Genau das macht Führung heutzutage aus. 

Hier findest du Teil 1 und Teil 2 der Artikelserie.


Hast du Lust, dich über die neue Menschlichkeit in Führung auszutauschen und Wege zu finden, wie du mit mehr Klarheit und Authentizität führen kannst? Dann kontaktiere uns: rafat@zero360.de 

Verfasst von:

Dr. Shamim Rafat

Mit Weitsicht und Passion hat Shamim die stetige Weiterentwicklung von Team und Firma im Blick. Er berät unsere Kund*innen in der Strategieentwicklung und Umsetzung von Innovations- und Transformationsprozessen. Mit seinem Wissen und Erfahrungsschatz inspiriert er Kund*innen und Team gleichermaßen. Shamim ist einer der stolzesten Väter der Stadt.

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