Design Thinking ist gereift. Von einem magischen Zaubertrank, in den man in bunten, energetischen Trainings eintaucht, zu einem ernstzunehmenden Rahmen für Innovation, den viele Organisationen inzwischen ausprobiert und für sich angepasst haben.
In den letzten Jahren hatte ich die Möglichkeit, mehrere systematische Design Thinking „Rollouts“ in Unternehmen aus der Software-, Elektronik- und Finanzdienstleistungsbranche mitzugestalten — dabei sind mir einige Schlüsselbausteinen für solche Initiativen aufgefallen. Auch wenn klar ist, dass so etwas Komplexes wie Veränderung einer Innovationskultur nicht als Standard daherkommen kann, möchte ich diese Beobachtungen hier als Inspiration teilen.
Die folgenden Bausteine könnten für dich interessant sein, wenn du Teil einer Organisation oder eines Unternehmens bist — du weißt, was Design Thinking ist und möchtest den Ansatz systematisch in der Organisation verankern.
Hier also zehn Bausteine für Design Thinking Rollouts, jeweils verbunden mit einigen pragmatischen Empfehlungen:
1. Top-Management Buy-In
Design Thinking ist am relevantesten für Mitarbeiter, die direkt an Innovationsprojekten und -initiativen beteiligt sind. Dennoch wurden alle erfolgreichen Rollouts, die ich erlebt habe, vom Top-Management der jeweiligen Unternehmen gestützt. Denn auch wenn Design Thinking nicht unbedingt mehr Ressourcen benötigt, um Arbeit zu erledigen (eigentlich sollte das Leistungsversprechen ja sein, Zeit und Geld zu sparen), ist es wahrscheinlich, dass Teams ihre Ressourcen auf im Unternehmen ungewöhnliche Weise einsetzen. Ein Team, das einen Monat (oder sogar nur einen Tag) mit Nutzerforschung verbringt, könnte beispielsweise als Zeitverschwender gesehen werden, wenn die Führung den Wert und die Absicht einer solchen offenen Empathiearbeit nicht erkennt.
Während eines Design Thinking Rollouts ist es darüber hinaus wichtig, dass Top-Führungskräfte eines Unternehmens über Innovation sprechen und Design Thinking idealerweise mit dem bestehenden Erbe oder der bestehenden Kultur ihres Unternehmens verbinden (also: „es ist ein konsequenter Schritt für uns, denn wir kommen von… und befinden uns an einem Punkt, an dem wir…“).
Was du konkret tun kannst:
Wenn du erreichen möchtest, dass dein Unternehmen Design Thinking über dein eigenes Team hinaus zu schätzen weiß, ist es eine gute Idee, das Top-Management einer effizienten, praktischen Erfahrung auszusetzen. Es kann auch helfen, dein Management mit Top-Managern aus Peer-Unternehmen (die eine ähnliche Transformation durchlaufen haben oder gerade durchlaufen) zu vernetzen.
2. Breites Grundverständnis schaffen
Design Thinking Teams können ihre Kraft voll entfalten, wenn sie nicht nur vom Top- Management, sondern auch von großen Teilen des Unternehmens unterstützt werden: Ein Team benötigt für seine Arbeit möglicherweise Vertriebler, um Kunden für seine Recherchen zu gewinnen. Es benötigt möglicherweise Daten aus dem Controlling, um eine Herausforderung zu verstehen. Vielleicht benötigt es aber auch das Facility Management, um an Prototypenmaterial oder Möbel zu gelangen. Wenn alle diese Abteilungen zumindest eine grobe Vorstellung davon haben, was das Team tut und was es damit erreichen will, kann es sehr wahrscheinlich effizienter arbeiten. Ein breites Bewusstsein für Design Thinking hilft darüber hinaus, Hidden Champions und interessante Projekte in unerwarteten Teilen des Unternehmens zu entdecken.
Was du konkret tun kannst:
Biete ein skalierbares Awareness-Format, das nur minimale Investitionen der Teilnehmenden erfordert und zu dem alle eingeladen werden. Dies kann ein Vortrag bei einem All-Hands-Meeting, eine Großgruppenklasse oder ein webbasiertes Training sein.
3. Ausbildung von Praktikern
Dies ist der intuitivste und manchmal der einzige Baustein, an den bei Design Thinking Rollouts gedacht wird: Trainings für Personen, die in ihren Projekten Design Thinking anwenden wollen. In großen Unternehmen stellt sich oft die Frage, wer diese Pioniere sein sollten. Einige Kriterien, die ich empfehlen würde:
Bezieht Rollen ein, die die Struktur und Durchführung von Projekten bestimmen, aber nicht ausschließlich Führungskräfte sind (auf die wird später noch eingegangen). Abhängig von der Terminologie eures Unternehmens können dies Funktionen wie Projektmanager, Scrum Master, Product Owner oder Produktmanager sein.
Bindet Mitarbeitende aus verschiedenen Abteilungen ein, aber idealerweise mehr als einen pro Team (damit sie einen Komplizen haben, wenn sie die Arbeitsweise ihres Teams ändern wollen). Konzentriert euch auf Menschen, die von Innovation begeistert sind und sich als Change Agents präsentiert haben — nicht diejenigen, die sich langweilen, sondern diejenigen, die rastlos sind.
Was du konkret tun kannst:
Schaffe ein solides, skalierbares Trainingsformat, das bei Menschen aus verschiedenen Abteilungen und Bereichen ankommt und nicht nur Design Thinking als Methode darstellt, sondern auch, wie es auf branchenrelevante Herausforderungen angewendet wird. Erstelle einen transparenten Kriterienkatalog zur Auswahl der Mitarbeitenden, die an diesem Programm teilnehmen.
4. Ausbildung von Führungskräften
Neben dem Top-Management benötigen Design Thinking-Teams die Unterstützung ihrer unmittelbaren Führungskräfte, um Wirkung zu erzielen. Denn selbst wenn Zielsetzungen von Teams unverändert bleiben (findet eine innovative Lösung für X), müssen die Aktivitäten auf dem Weg zu diesem Ziel vom mittleren Management mitgetragen werden. Abhängig vom Führungsstil, der in deinem Unternehmen herrscht, müssen Führungskräfte dann möglicherweise lernen
- Teams Entscheidungsbefugnisse einzuräumen
- eine Kultur des Experimentierens (und Scheiterns) zu unterstützen
- iterative Projektarbeit in ihren Zielen und Meilensteinen zuberücksichtigen
- die Nähe zu Nutzenden zu erleichtern und zufördern
Während sich Praktiker-Trainings sehr stark auf Design Thinking Methoden und Werkzeuge konzentrieren, benötigen Führungskräfte, die nicht direkt involviert sind — aber Design Thinking-Projekte ermöglichen sollen, unterschiedliche Inhalte, um Design Thinking in ihrer Rolle in die Praxis umzusetzen.
Was du konkret tun kannst:
Gestalte eine Lernerfahrung für Führungskräfte, die den Schwerpunkt auf den Einfluss von Design Thinking auf die Führung legt und entsprechende Prinzipien trainiert.
5. Nutzung vorhandener Experten
Initiativen zur Einführung von Design Thinking gehen oft auf produktunabhängige Abteilungen wie HR, Learning & Development oder das Top-Management zurück. Meist beginnt alles mit einigen Enthusiasten, die in der Lage sind, ein paar andere zu überzeugen und dann mit der Planung eines Rollouts beauftragt werden (oft mit externer Unterstützung). Die Initiatoren vergessen dabei oft, dass Unternehmen, die Produkte oder Software herstellen, höchstwahrscheinlich Menschen an Bord haben, die mit vielen Design Thinking-Methoden bereits sehr vertraut sind. Diese können in Organisationen als Designer, User Experience Researcher, User Interface Designer, Creative Directors, Strategen oder ähnliches bezeichnet sein. Interessanterweise zeigen sich Menschen in diesen Rollen manchmal bedroht oder irritiert über das plötzliche Interesse an ihrem Handwerk: Sind jetzt alle Designer? Machen Design- Thinker überhaupt richtige Designarbeit? Warum sollte jemand im Finanzbereich Design Thinking lernen müssen?
Es ist wichtig, Vertreter solcher Funktionen proaktiv einzubeziehen, ihre Fähigkeiten wertzuschätzen und sie bei der Verbreitung einer Design-Denke über ihre Abteilung hinaus einzubinden. Die Einführung von Design Thinking heißt nicht, ihre Arbeit herauszufordern, sondern ihrem Ansatz und ihrer Sichtweise eine größere Relevanz zu verleihen.
Was du konkret tun kannst:
Lass Teams von etablierten Designrollen lernen. Mache die etablierten Designer mit dem Konzept und dem Prozess des Design Thinkings vertraut und ermutige sie, ihre Arbeit zu entmystifizieren, indem sie über ihre Projekte sprechen und sie mit dem Design Thinking Ansatz in Verbindung bringen.
6. Räume transformieren
Der physische Raum ist ein wichtiges, aber oft vernachlässigtes Element des Design Thinking. Manche DT-Pioniere sind so sehr damit beschäftigt, einen Prozess zu etablieren, dass sie vergessen, dass die Transformation des Arbeitsplatzes ein starkes Signal der Veränderung sein kann. Die Einrichtung eines Designlabors ist kein Selbstzweck, sondern zeigt Commitment und ist eine sichtbare Einladung zu neuen Arbeitsweisen. Da Platz in jedem Unternehmen eine knappe Ressource ist, ist es am einfachsten, mit der Transformation bestehender Kooperationsbereiche zu beginnen: Besprechungsräume, Kaffeeecken, Flure. Als positiver Nebeneffekt wird die Innovationsarbeit, die in einem solchen Umfeld stattfindet, für andere Teams sichtbar, weckt Interesse und etabliert Standards in der kreativen Teamarbeit.
Was du konkret tun kannst:
Verwandle einen zentralen, sichtbaren und großen Raum in eine Drehscheibe für kreatives Arbeiten. Es gibt jede Menge Informationen dazu, wie ein solcher Raum aussehen kann, die grundlegenden Konzepte sind dabei immer: Flexibilität, Unterstützung einer aktiven Haltung (z.B. Stehtische), optimiert für Teams von fünf Personen, genug Oberflächen und Materialien, um schnell zu visualisieren und zu bauen. Stell sicher, dass nicht nur der Raum selbst gestaltet wird, sondern auch die Formate und Verantwortlichkeiten der Nutzung: Kann der Ort gebucht werden? Von wem? Können Teams ihre Arbeit über Nacht dort lassen? Wer kümmert sich um vollständige Materialien? Wie erfahren Teams, wofür genau der Raum gedacht ist? Gibt es Anweisungen oder Einschränkungen zur Nutzung (z.B. nicht für gewöhnliche langweilige Meetings)?
7. Reale Projekte
Design Thinking Trainings fühlen sich gut an und machen Spaß. Doch der Transfer von der Laborumgebung einer Schulung ins Unternehmen ist meist die eigentliche Herausforderung. Nur wenn Design Thinking im Projektportfolio eines Unternehmens, in seinen Produktentwicklungsprozess, in Teamzielen und Erfolgskennzahlen ein Zuhause findet, kann es eine Kraft entfalten, die über das schnell verblassende Glück einer Ausbildungsinitiative hinausgeht. Projekte sind das wichtigste Element eines Rollouts. Keine erfundenen Herausforderungen, um Design Thinking zu beweisen, sondern echte Arbeit, die sowieso erledigt werden muss.
Was du konkret tun kannst:
Kuratiere eine Auswahl von Projekten, die mit einem engagierten Team durchgeführt werden und stell ihnen eine vorstrukturierte Coaching-Routine zur Verfügung (z.B. einen Tag pro Woche). Lass die Teams den neuen Innovationsraum bevölkern und setzte sie kommunikativ in Szene, egal ob sie erfolgreich sind oder nicht. Wenn ein Projekt scheitert oder gestoppt wird, stell sicher, dass das Team das Gelernte anderen Design Thinkern zur Verfügung stellt.
8. Messbar machen und darüber reden
Design Thinking Erfolgs-Stories brauchen Zeit. Vom Startschuss über die Phasen der Forschung, Prototypen, Misserfolge, Iterationen bis hin zur Implementierung kann es Jahre dauern, bis du eine Geschichte hast, die so schön ist wie die wenigen Legenden, auf die sich Design Thinking Enthusiasten immer wieder beziehen. Möglicherweise ist die Geschichte am Ende gar nicht mal so sexy und höchstwahrscheinlich ist der Erfolg das Ergebnis mehrerer verschiedener Einflussfaktoren jenseits des Design Thinking (selten gilt „DT einführen und Innovation herausholen“).
Aber Erfolg von Design Thinking lässt sich nicht nur an der Anzahl der Innovationen messen. Es lohnt sich, auch an andere Kennzahlen zu denken, die von einem Rollout beeinflusst werden: Einsparung von Budget durch frühzeitige Aufgabe von schlechten Ideen, Mitarbeiterzufriedenheit und -beteiligung, verbesserte Kundenbeziehungen, inkrementelle Verbesserungen, schnellere Entscheidungsprozesse etc.
Was du konkret tun kannst:
Suche nach Geschichten über „weiche“ Erfolge und warte nicht auf die große Innovationsgeschichte. Zeige Auswirkungen auf den Menschen, nicht nur auf Produkte. Schaffe einen Raum (interne Portalseite, monatliches Meeting, wöchentliches Mittagessen), in dem diese Geschichten ausgetauscht werden können.
9. Skalierung durch den Aufbau von Coaching-Kapazitäten
Die meisten Organisationen nehmen für Design Thinking Rollouts externe Unterstützung in Anspruch — nicht, weil es unmöglich ist, Design Thinking ohne Hilfe einzuführen, sondern weil Externe die Kultur des Design Thinking konsistent präsentieren und vermitteln können ohne durch die individuellen Einschränkungen eines Unternehmens belastet zu werden. Dennoch sollte jeder Teil eines Rollouts ein Schritt in Richtung Unabhängigkeit von externer Unterstützung sein. Hierzu gehört ein Plan wie diese Unabhängigkeit erreicht werden kann. Tools und Ressourcen, die Trainer oder Berater mitbringen, sollten vollständig in der Organisation verbleiben, damit sie Teams Verfügung gestellt werden können (idealerweise nicht nur als zufällige Slide-Decks, sondern als strukturiertes Toolkit). Ein weiteres Element der Unabhängigkeit ist der Aufbau interner Coaching-Kapazitäten auf Basis echter Projekte. In der Gruppe der neuen Design-Thinker wird es Menschen geben, die sich für die Arbeitsweise begeistern, als hätten sie schon immer darauf gewartet. Diese Personen sind prädestinierte interne Coaches.
Was du konkret tun kannst:
Nominiere zukünftige Coaches anhand ihres erwarteten Engagements und schaffe Formate, in denen sie ihre Fähigkeiten ausbilden und üben können (formale Trainings, Coach Shadowing, sichere Experimentierumgebungen). Entwirf eine Struktur oder einen Prozess für die Engagements der neuen Coaches (20% Zeit, Coach-Pool, internes Coach-Buchungssystem) und schaffe Kanäle, über die sie Erfahrungen austauschen können.
10. Die eigene Version von Design Thinking finden
Jedes Unternehmen hatte bereits eine gewachsene Kultur und Sprache bevor Design Thinking aufkam. Diese Werte oder Verhaltensweisen geben Teams Stabilität — da kann es irritierend sein, wenn sie plötzlich von einer Art Silicon Valley Magie angezweifelt werden. Als Design-Thinking-Treiber ist es deine Aufgabe, Verbindungen zwischen der Identität, den Methoden und Prozesses deines Unternehmens und den neuen Werten und Verhaltensweisen zu finden.
Was du konkret tun kannst:
Erweitere das Design Thinking Framework mit Tools, Prozessen und Begriffen aus dem eigenen Unternehmen. Entwickle eine eigene „Version“ zur Beschreibung von Design Thinking, einschließlich geeigneter Terminologie, Prozessvisualisierungen und Argumentation.
Verfasst von:
Johannes Meyer