Transformation

Agiles Arbeiten im Tagesgeschäft

Wie schon kleine agile Rituale Teams helfen besser (zusammen) zu arbeiten.

Raúl Kuhn
August 22, 2022
Lesezeit

Wenn es um Veränderungen in Organisationen geht (a.k.a. Transformation) dann bemühen viele Unternehmen gerne die großen Gesten. Alles (A-L-L-E-S) muss anders werden. Natürlich besser. Natürlich agil! Am besten schon morgen und dann bitte auch nachhaltig vom Vorstand bis zum Auszubildenden. 

Aber Moment! Muss tatsächlich alles anders werden? Und agil? Und sofort?

Transformation und Tagesgeschäft: Wie geht das zusammen?

Hier braucht es einen differenzierten und ehrlichen Blick ins Unternehmen. Es muss nicht immer und sofort der große Transformationswurf sein. Oftmals kann es das auch gar nicht, weil die meisten Unternehmen die verfügbare Zeit ihrer Mitarbeitenden und Führungskräfte sowie die vorhandenen Budgets anderweitig benötigen. Wie zum Beispiel in diesem vielbeschworenen „Tagesgeschäft“. Aber heißt das nun, dass Unternehmen dazu verdammt sind, in alle Ewigkeit so weiterzuarbeiten, wie sie das in vergangenen Jahrzehnten getan haben? Unfähig die eigene Situation zu verbessern, weil man so getrieben ist von alltäglichen Herausforderungen wie ein Waldarbeiter mit stumpfer Säge?

Bedarfsorientierte agile Rituale in Teams statt Disruption des ganzen Unternehmens 

In solchen Situationen schlagen wir bei unseren Kunden oft einen radikal pragmatischen Ansatz vor. Statt mit tiefgreifendem Transformationsansatz eine ganze Organisation auf links zu drehen, die dazu noch nicht bereit ist, erarbeiten wir mit den Teams zunächst kleine, neue Angewohnheiten also agile Rituale, die vom Team selbst im Alltag ausprobiert werden. Statt direkt einen Chief Agile Officer inklusive zugehörigem Stab und Team am externen Stellenmarkt zu suchen (und anzustellen), werden neue Aufgaben anhand der Bedürfnisse von Mitarbeitenden und Teams identifiziert, von etablierten Mitarbeitenden testweise übernommen und so – fast nebenbei – ein besseres Verständnis von agilen Werten und Prinzipien in die Organisation eingebracht. 

Hier habe ich einige beispielhafte Rituale zusammengetragen:

  • Check-in und Check-outs 

Wie kann das konkret aussehen? Ein oder mehrere kleine Teams können sich beispielsweise ein Check-in- und Check-out-Ritual für Workshops und Regelmeetings angewöhnen. Schon banale Fragen wie „Wie geht es mir heute?“, „Was hat gerade meine Aufmerksamkeit?“ oder „Wie komme ich in diesen Termin?“, „Was sind meine Gedanken dazu?“, können zu Beginn von gemeinsamen Arbeitsphasen für mehr Transparenz, empathischem Begegnen und intensiverem Kennenlernen sorgen und damit zu einer besseren Atmosphäre sowie Ergebnissen beitragen.  

Zum Abschluss eines Workshops oder Meetings helfen Fragen wie „Was war meine größte Erkenntnis?“ oder „Was wünsche ich mir für unseren nächsten Termin?“ die folgenden Abstimmungen noch zielgerichteter und damit ertragsreicher für die Teilnehmenden zu machen. 

Die Fragen, die in Check-ins/-outs gestellt werden, können je nach Art und Zielsetzung des Termins variieren. Erlaubt ist, was (dem Team) gefällt und was den Teilnehmenden hilft, sich gemeinsam auf das anstehende Thema einzustellen bzw. gut aus dem Termin rauszukommen.  

Wichtig ist darauf zu achten, dass in Check-ins/-outs jeweils nur eine Person spricht, keine Diskussionen geführt werden und das Gesagte weder bewertet noch kommentiert wird.

  • Synchronisations-Meetings statt Status Calls

Wir kennen die Situation: Teammitglieder mit vollen Terminkalendern warten im x-ten stundenlangen Status Call primär darauf, dass sie an der Reihe sind zu reden. Besser ist es in 15-minütigen „Sync(hronisations)-Meetings“ (oder auch „Stand-ups“) zusammenzukommen und sich darin anhand der Fragen „Woran habe ich gearbeitet?“, „Woran werde ich arbeiten?“ und „Was brauche ich dafür bzw. was steht mir dabei im Weg?“ in kurzer Zeit auf den neuesten Stand bringen. 

Wichtig ist, dass hier die Rededauer kein Indiz für Arbeitsauslastung oder Hierarchie sein darf. Je länger ich rede, desto wichtiger oder beschäftigter bin ich – das gilt hier nicht. Wenn es darüber hinaus Fragen oder Klärungsbedarfe gibt, können diese in kleinen Gesprächsrunden im Anschluss an das Sync-Meeting angesprochen werden.

  • Retrospektiven zum Projektabschluss 

Zum Abschluss eines Projekts, vor Beginn der Urlaubszeit oder einfach alle 6-8 Wochen fest eingeplant kann ein Team im Rahmen einer Retrospektive auf die gemeinsame Arbeitsphase zurückblicken, sie reflektieren (z.B. „Was lief gut?“, „Was lief schlecht?“) und Wünsche für die Zukunft formulieren (z.B. „Womit sollten wir anfangen?“, „Womit sollten wir aufhören?“). Dieser Fokus auf die Reflexion der Zusammenarbeit im Team sollte dabei unbedingt eingehalten werden, da dies oftmals inhaltlichen Diskussionen zum Opfer fällt oder im Rahmen des Tagesgeschäfts de-priorisiert wird. 

Zwar kann auch eine Team-Retrospektive kurzfristig geplant und umgesetzt werden, es gilt jedoch zu beachten, dass es sich dabei um ein weiter fortgeschrittenes Format als etwa dem Check-in handelt. Dem entsprechend und besonders bei zu erwartenden kritischen Inhalten empfiehlt sich eine (Team)-externe Moderation, z.B. durch einen agilen Facilitator. Zudem sollten Retros als ein fester Bestandteil der Team- und Projektarbeit eingeplant sein und nicht erst aus dem Hut gezaubert werden, wenn etwas nicht stimmt.

Erste kleine Schritte auf einer langen agilen Reise

Die hier beschriebenen Rituale können bereits helfen ein Verständnis für die Notwendigkeit sowie Möglichkeiten einer weitergehenden agilen Transformation im Unternehmen zu schaffen. Denn erst wenn Teams und Führungskräfte erlebt haben, welche Veränderungen schon mit kleinen aber konsequent umgesetzten agilen Ritualen in der Teamarbeit einhergehen, sind sie möglicherweise bereit weitere, größere Schritte zu unternehmen. 

Doch mit gutem Grund weisen auch wir immer wieder darauf hin, dass neue Methoden und Arbeitsansätze ein guter Anfang sind, wirklich nachhaltige Veränderungen aber weiterhin ein Umdenken in der Organisation erfordern. Denn “being agile” beginnt mit der Haltung. Auch wenn kleine Interventionen dieser Art oft die ersten Schritte einer weitergehenden Haltungsänderung sind, bleibt jede angestoßene (agile) Transformation früher oder später auf der Strecke, wenn die Kulturentwicklung nicht durch klare Prozesse und Strukturen unterstützt wird.

Ihr seid neugierig welche kleinen, agilen Rituale in eurem Unternehmen denkbar sind oder wie die ersten agilen Schritte in eurem Unternehmen aussehen könnten? Sprecht uns an unter hello@zero360.de. Wir freuen uns auf ein Kennenlernen.

Verfasst von:

Raúl Kuhn

Raúl ist Organisationsentwickler, Agile-Coach und großer Enthusiast für alle Themen die sich mittlerweile „New Work“ nennen. Methodisch fühlt er sich bei Design Thinking, LEGO Serious Play und systemischem Coaching heimisch und gerät hier schnell ins Schwärmen, wenn man leichtsinnig fragt.

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