Transformation

9 Prinzipien erfolgreicher Transformation

Der Schlüssel liegt im Konflikt

Barbara Posern
März 6, 2023
6min Lesezeit

Hand aufs Herz: Sind Sie mit guten Vorsätzen ins Jahr gestartet? War der Beginn der zucker-, alkohol- oder wahlweise fleischfreien Zeit, begleitet von Stolz und einer Prise Euphorie? Wunderbar! Doch nun – wie geht es Ihnen in der 10. Woche des neuen Jahres, was ist aus Ihren Vorsätzen geworden? Geistert bereits das schlechte Gewissen in Ihren Gedanken umher, weil die alten Gewohnheiten stärker waren als die Vernunft?

Wenn wir ehrlich sind, wissen wir ganz genau, wie langwierig und schmerzhaft die Veränderung unserer Gewohnheiten ist und dass es selten gelingt, gute Vorsätze langfristig durchzuhalten. Im Rückblick erscheinen uns die Ursachen für unser Scheitern nahezu logisch: falsche Motivation, widersprüchliche Ziele, fehlende Alltagstauglichkeit, Ungeduld und nicht zuletzt unser Perfektionismus, der uns nach dem ersten winzigen „Fehlverhalten“ zum Aufgeben bringt.

Wir alle haben diese Erfahrung bereits gemacht, doch wenn wir als Mitglieder einer Organisation an einer Transformation teilhaben oder diese sogar verantworten, nehmen wir unsere privat-persönliche Erfahrung in diesem professionellen Kontext nicht ernst. Wir sehen die enge Verwandtschaft zwischen der Veränderung in beiden Systemen nicht. Schade, denn die Erfolgsprinzipien der Veränderung sind – vorsichtig formuliert – universal gültig.

Eine Einzelperson kann es sich leisten, einen guten Vorsatz loszulassen und an alten Gewohnheiten festzuhalten. Eine Organisation kann das nicht. Transformation ist längst zu einer Daueraufgabe geworden – und die Transformationsfähigkeit ist eine wesentliche, wenn nicht sogar die zentrale Kompetenz zukunftsfähiger Unternehmen.

zero360 hat in den letzten Jahren viele Transformationsprojekte durchgeführt und in unseren Retrospektiven sind die Muster des Erfolges und des Misslingens sichtbar geworden. Sie lassen sich in 9 Aspekten beschreiben.


1. Transformation braucht ein starkes Warum

Viele Transformationen scheitern, weil es keinen echten Grund für die Veränderung gibt. Transformation geschieht der Transformation willen, Veränderung ist vielen als Argument genug. Ein Fehler, der sich spätestens dann als riesig entpuppt, wenn die Verantwortlichen kein begeisterndes Narrativ bieten oder auf die Frage nach konkreten Zielen der Veränderung keine zufriedenstellende Antwort geben können. Um eine Organisation bzw. ihre Mitglieder aus der Komfort- in die Lernzone zu bringen, braucht es jedoch ein starkes Zielbild, etwas wofür es sich lohnt zu arbeiten und die Unsicherheiten des neuen Terrains auszuhalten. Das Zurücklassen einer problematischen Situation reicht dabei nicht aus. Ein „weg von“ braucht immer auch ein attraktives „hin zu“. Grob formuliert: ein positives Bild der eigenen Zukunft.

Transformations- und Organisationsziele sollten einander entsprechen. Das liest sich so selbstverständlich, wird jedoch häufig vergessen.


2. Transformation braucht die Unterstützung von ganz oben

Wenn die oberste Führungsebene die Veränderung nicht aktiv unterstützt, ist ein Flop vorprogrammiert. Im schlimmsten Fall lebt die Führungsebene in alten Mustern weiter, da sie mit großer Selbstverständlichkeit davon ausgeht, dass sich nur die anderen verändern müssen; sie blendet die Bedeutung der eigenen Entwicklung für die Veränderung der Organisation aus. Das geschieht aus Unkenntnis, Überheblichkeit oder Angst: Die eigene Rolle zu hinterfragen, gilt vielen als Eingeständnis von Schwäche, und diese Bloßstellung gilt es unbedingt zu vermeiden, um die eigene Position nicht zu gefährden. Doch die Wirkung dieser Taktik ist genau das Gegenteil: Die Vermeidung der Veränderung auf höchster Ebene festigt bestehende Strukturen, blockiert die Entwicklung und nimmt der Organisation damit die Chance, mit der Zeit zu gehen. 

Insbesondere in hierarchisch geprägten Organisationen braucht es die aktive Unterstützung von ganz oben. Das bedeutet weit mehr als flammende Ansprachen in Town Hall Meetings zu halten. Es bedeutet zunächst die Unterstützung des Teams, das die Transformation steuert (siehe Punkt 7). Die aktive Mitarbeit in diesem Steuerungsteam kann eine wichtige Intervention sein. Die eigentliche Herausforderung besteht jedoch in der Reflexion und Veränderung des eigenen Verhaltens, und zwar derart konsequent, dass das neue Verhalten in der Organisation positiv erlebbar wird. Das sorgt für Glaubwürdigkeit und wird viele Mitarbeitende zum Mitmachen motivieren. Es mag paradox klingen, dass die so notwendige Partizipation der Mitarbeitenden das gute Vorbild der obersten Führungsebene braucht, doch es ist die notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Veränderung.


3. Transformation braucht Kommunikation (und Ehrlichkeit)

Nicht zu kommunizieren und das Verschweigen unangenehmer Tatsachen sind weitere Gründe für das Scheitern einer Transformation. Es beginnt damit, dass sich die Verantwortlichen davor scheuen, die wahren Gründe der Veränderung zu kommunizieren. Stattdessen wird Veränderung als durch und durch positive Innovation dargestellt, die jedoch ohne die Begründung ihrer wahren Notwendigkeit oberflächlich bleibt. Andere konzentrieren sich auf die Präsentation von Erfolgen, die brüchige Realität wird kaschiert. Hinter diesem Verhalten steht meist die Befürchtung, dass unter den Mitarbeitenden Unruhe und Unsicherheit entstehen, dass sie die Veränderung nicht verstehen, ablehnen oder im schlimmsten Fall blockieren.

Veränderung ist kein Ponyhof, und nur wenige trauen sich, ihren Teams die Unsicherheit einer Transformation zuzumuten – und sich selbst den Konflikt, der aus der Konfrontation mit unschönen Wahrheiten entsteht. Das ist menschlich, doch nicht schlau, denn diesem Konflikt aus dem Weg zu gehen führt in der Regel zu einer Verschärfung der Situation.

Ein weiterer Grund für das Schweigen findet sich in der Angst, eigene Fehler einzugestehen. Für viele ist die schlichte Notwendigkeit einer Veränderung das Eingeständnis, etwas in der Vergangenheit nicht gut gemacht zu haben. Die Vermeidung dieser Offenbarung wird gewählt, um sich selbst zu schützen, doch auch das geht nach hinten los.

Die Nichtkommunikation ist in all diesen Fällen das genaue Gegenteil von richtig. Richtig und erfolgversprechend ist die kommunikative Begleitung der Transformation von Anfang an: Warum brauchen wir eine Veränderung? Was passiert wann und warum? Was sind unsere Ziele und Maßnahmen? Wer ist aktiv beteiligt? Wie kann sich jede:r einbringen, Feedback geben und so weiter. All diese Inhalte brauchen Transparenz und Präsenz in der Organisationsöffentlichkeit.


4. Transformation braucht die Einsicht, dass Verhältnisse das Verhalten ändern

Viele Projekte starten genau andersherum. Ein neues Mindset soll her, die Haltung der Mitarbeitenden soll sich ändern. Gerne werden dabei mehr Eigeninitiative, Verantwortung und Kreativität verordnet. Die Führungsriege ist stolz, dass sie so modern ist und ihren Teams ein Maximum an Freiheiten gewährt – doch diese reagieren mit Nichtreaktion. Sie setzen die Anordnung nicht um, was von der Führung als Zeichen dafür gewertet die, dass die Mitarbeitenden noch nicht bereit sind für das Neue und die Anordnungskultur wird wieder verschärft. Damit steigen Frustration und Resignation der Mitarbeitenden. Alles ist schlimmer als zuvor. Was ist das passiert? Um es kurz zu erklären:

„We can’t change hearts and minds with a haiku… consider how hard it is to change yourself and you’ll understand what little chance you have to change others… we can’t change people… we can change the system.“ Aaron Dignan, Brave New Work

Transformation sollte also mit der Gestaltung neuer Rahmenbedingungen starten, die den Mitarbeitenden die Möglichkeit gibt, sich anders zu verhalten – und schließlich daraus zu lernen und Denkmuster zu erneuern.


5. Transformation braucht Zeit (und Geduld)

Viele Transformationen scheitern, weil die Verantwortlichen davon ausgehen, dass eine Veränderung schnell verstanden und umgesetzt werden kann. Wenn es beispielsweise um die Einführung einer neuen Software geht, mag das stimmen, doch bei Themen wie Agilität, Digitalisierung, Nachhaltigkeit oder Diversität ist das ein Trugschluss. Hier geht es nicht primär darum, eine neue Technik zu erlernen und in den Alltag zu integrieren. Es geht um nicht weniger, als alte Denkmuster zu hinterfragen, diese neu zu kodieren und die Mitarbeitenden dabei zu unterstützen, das neue Denken in neues Verhalten zu übersetzen. Diese Entwicklung neuer Denk- und Verhaltensmuster braucht Zeit, das Neue auszuprobieren und zu verfestigen, und dabei läuft nicht immer alles perfekt.

Klein anzufangen, das Neue in einem geschützten Umfeld auszuprobieren, solange zu testen und zu optimieren, bis es läuft – und erst dann zu skalieren – das gibt dem Neuen in Organisationen eine echte Chance. Dieses Vorgehen erfordert allerdings Vertrauen in den Prozess und eine extra Portion Geduld, bis sich sichtbare Erfolge einstellen. Diese Geduld ist damit verbunden, auch aushalten zu können, dass andere ungeduldig werden und möglicherweise den Verlauf oder gar Erfolg des Transformationsvorhabens infrage stellen.


6. Transformation braucht Fehler

Auch in Transformationsprojekten lautet eine unausgesprochene Erwartung, dass es nur Erfolge geben darf. Doch das Entdecken, Ansprechen, Analysieren und Verbessern von Fehlern, problematischen oder suboptimalen Situationen und Prozessen ist der wesentliche Aspekt des Lernens – und eine Transformation ist vor allem das: ein permanenter Lernprozess. Das Vertuschen von Fehlern oder die Bestrafung von Mitarbeitenden, die kritische Fragen stellen oder denen ein Fehler unterlaufen ist, stammt aus Fließbandzeiten und steht einem transformationsfähigen Unternehmen in der heutigen Zeit überhaupt nicht. Dass es dafür eine Kultur des Vertrauens braucht, ist nicht überraschend, doch obwohl jede:r Verantwortliche bestätigt, dass eine Fehlerkultur maximal erstrebenswert ist, gelingt es in nur wenigen Organisationen, einen stabilen Raum der psychologischen Sicherheit zu etablieren. Das mag einer der Hauptgründe für das Scheitern einer Transformation sein, denn wie soll die Unsicherheit des nicht Bekannten gemeistert werden, wenn es keinen Raum für Fehler gibt.


7. Transformation braucht Komplexität

Viele Transformationen sind zu einfach konzipiert. Häufig gibt es ein Projektteam, das die gesamte Transformation gestaltet, führt und steuert. Das ist gut, doch nicht genug, um der Komplexität einer Organisation sowie der Komplexität von Veränderung gerecht zu werden. Ein Projektteam steuert und integriert idealerweise mehrere Formate, wie z.B. eine Dialoggruppe auf höchster Führungsebene, Expertengruppen zur Erarbeitung neuer Lösungen, Formate für die Resonanz von oben, unten und aus der Mitte. Und nicht zuletzt Unterstützung und Befähigung von Führungskräften, die sich häufig in neuen Rollen wiederfinden und maßgeblich dafür verantwortlich sind, das Neue in die Teams zu tragen und in der täglichen Arbeit zu verankern.

Komplexität enthält Widersprüche. Dem Impuls, diese Widersprüche aufzulösen, müssen wir widerstehen, denn die Kunst der Veränderung liegt in einem konstruktiven Umgang mit Widersprüchen. Die Spannungen, die zwischen Widersprüchen entstehen, sind nicht selten wertvolle Hinweise auf wahrhaft Relevantes, die Bearbeitung dieser Spannung führt zu besseren Lösungen, die eine höhere Komplexität managen.

Nicht zuletzt klingt das Vorhaben einer Veränderung oft wie ein Super paradox. Das Alte soll wertgeschätzt werden, die Veränderung soll zur Organisation passen, die Vorzüge des Alten sollen erhalten bleiben, Mitarbeitende wie Kunden sollen ihre Identifikation mit Arbeitgeber und Marke aufrechterhalten können. Gleichzeitig soll das Neue die Anforderungen der Zeit, neuer Märkte und Zielgruppen, neuer Generationen von Mitarbeitenden und die Möglichkeiten neuer Technologien integrieren. Hier fehlt es an Klarheit und Konsequenz, meist ist das Vorhaben nicht zu Ende gedacht oder das Stakeholdermanagement bestand lediglich darin, alle Wünsche diskussionslos zu integrieren. Damit ist das Vorhaben überfrachtet, denn wenn das Neue zusätzlich zum Alten entstehen soll, fehlt es nicht nur an Kapazitäten. Das Alte wird seine Kraft der Gewohnheiten derart aufrechterhalten, dass das Neue kaum eine Chance zur Integration und zum Bleiben bekommt. 

Die Vermeidung des Konflikts ist also auch hier das größte Hindernis der Veränderung.


8. Transformation braucht Agilität

Viele Transformationen scheitern, weil sich Organisationen an einem Plan festhalten. Es steckt ja so viel Arbeit darin, ein Team hoch bezahlter Expert:innen hat daran gearbeitet und ihr gesamtes Wissen einfließen lassen – und wäre es nicht ein Eingeständnis von Inkompetenz, einen einmal hochgepriesenen Plan zu hinterfragen und gar zu ändern? Und selbst wenn: Würde eine Änderung nicht für Irritationen sorgen, die das Vorhaben erschweren könnten?

Die Scheu vor Arbeit, Kosten, Kompetenzverlust und dem Unmut in den Teams verhindert viel zu häufig die schlichte Notwendigkeit der Plananpassung. Doch mit jeder Intervention verändert sich das System, mit jedem Schritt lernen wir dazu, die Umwelt präsentiert regelmäßig neue Rahmenbedingungen – all das braucht eine Berücksichtigung. Regelmäßige Retrospektiven und Reviews sind das A&O erfolgreicher Transformation, denn eine Transformation ist wie bereits geschrieben ein permanenter Lernprozess.


9. Transformation braucht Mut

Als Fazit steht hier der Mut als Schlüssel zu einer erfolgreichen Transformation. Es ist der Mut zum Konflikt, der Mut zu spannungsbasiertem Arbeiten – dem offenen und konstruktiven Umgang mit Widersprüchen. Und schließlich der Mut, den Unsicherheiten des Neuen, also des Unbekannten bewusst zu begegnen und vielleicht sogar etwas Freude daran zu haben, dass noch einiges zu entdecken ist.


Verfasst von:

Barbara Posern

Barbara begleitet Organisationen, Teams und Menschen in Transformationsprozessen und verbindet dabei ihre Expertise als Designerin mit ihrer Erfahrung als Coach und strategische Beraterin. Ihr Lieblingsthema: Kunden zu befähigen, neue Lösungen zu entwickeln und auch umzusetzen – ko-kreativ, agil und nutzerzentriert.

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