Innovation

Wasserverbrauch, Planetenzentrierung und grünes Blut

Steffen Erath im Gespräch über Nachhaltigkeit und Innovation bei Hansgrohe

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Mai 5, 2022
7min Lesezeit

Steffen Erath ist Head of Innovation & Sustainability beim Armaturen- und Brausen-Hersteller Hansgrohe und für die Initiative „Green Company“ mitverantwortlich: Damit will das Unternehmen aus dem Schwarzwald Innovationen im Bereich Nachhaltigkeit vorantreiben und so die grüne Transformation gestalten. Es geht dabei nicht nur um die Produkte und die Produktion, sondern auch um kleine Aktionen wie vegetarische Angebote in der Kantine.

Haben die Mitarbeiter*innen Lust auf diesen Nachhaltigkeits-Kurs mit vegetarischen Angeboten in der Kantine oder sind sie eher genervt davon? 

In den letzten Jahren hat ein deutlicher Wandel stattgefunden. Das mache ich vor allem an den Bewerbungsgesprächen fest: Früher war die Motivation von Bewerbern beim Marktführer in der Branche zu arbeiten. Mittlerweile ist es eher so, dass sie sagen, sie möchten etwas Gutes tun und die Welt ein Stück besser machen. Das lässt mich glauben, dass wir irgendwas richtig machen. 

Dieses Mindset behauptet sich immer mehr und ich glaube, dass nur wenige Unternehmen überleben werden, wenn sie diesen Wandel nicht vollziehen. In 10 Jahren wird kein Marktführer mehr bestehen, der das Thema Nachhaltigkeit ignoriert. 

Man muss das Thema aber von Grund auf ernst nehmen, nur dann glauben einem die Mitarbeiter das auch und es wirkt sich positiv auf Zufriedenheit, Motivation und Innovation im Unternehmen aus. 

Und wie zeigt ihr, dass ihr es ernst meint?

Der CEO muss dieses Mindset vorleben und dahinterstehen – und das tut er bei uns. Unser gesamter Vorstand trägt diese Nachhaltigkeits-DNA in sich. Wir reden intern vom „grünen Blut“. 

Nachhaltigkeit war bei uns schon immer implizit in der Unternehmenskultur verankert, aber jetzt wollen wir dieses Thema deutlich bewusster verfolgen, damit es nicht mit einzelnen Personen steht und fällt. Deswegen haben wir einen Purpose-Statement-Workshop absolviert. Die Ergebnisse daraus spannen wir über unsere gesamte Strategie. Ohne Top-Down geht es hier meiner Meinung nach nicht. 

Aber genauso braucht es auch einen Bottom-Up-Ansatz. Schließlich schafft man die grüne Transformation nicht mit sechs Leuten – so groß ist das Team der „Green Company“-Initiative. Man braucht dafür jeden der 5000 Mitarbeiter, denn die Lösungen liegen oft da, wo auch das Problem liegt. 

Unser Green Company Team sieht sich als Enabler. Das bedeutet, wir befähigen und beeinflussen unsere Kollegen und Kolleginnen und versuchen so, das Ganze auf ein neues Niveau zu skalieren. Wir können zwar nicht die ganze Organisation auf einmal transformieren, aber wir können die nächstliegenden Abteilungen transformieren und versuchen, dass das auf andere Abteilungen übergreift. Im Prinzip wollen wir eine Bewegung starten. 

Wie animiert ihr denn die Mitarbeiter, dabei mitzuziehen?

Am Anfang steht erstmal so etwas wie ein Grundstudium in Sachen Nachhaltigkeit. Das galt auch für mich: Ich bin Wirtschaftsingenieur und habe im Studium viel über Effizienz und Marketing gelernt. Nachhaltigkeit stand – soweit ich mich erinnern kann – damals noch nicht auf dem Stundenplan. 

Es braucht also erstmal ein gewisses Basiswissen. Nachhaltigkeit ist eben nicht nur Klimaneutralität. Das Thema ist deutlich vielschichtiger. Man redet zum Beispiel von der Triple Bottom Line: Bei diesem Konzept sollen sich die drei Dimensionen Profit, People und Planet im Idealfall die Waage halten.

Im bisherigen Bewusstsein ist die Triple Bottom Line leider immer noch so verankert, dass man sich in erster Linie auf Profite konzentriert. Für People und Planet bleibt dann nur wenig übrig. Dabei sollte es doch eigentlich andersrum laufen: Der Planet sollte bei allen Aktivitäten im Vordergrund stehen. 

“Viele reden heute von Nutzerzentrierung, vielleicht sollten wir aber viel eher von Planetenzentrierung sprechen?” 

Um genau dieses Verständnis unseren Mitarbeitern zu vermitteln, haben wir unsere Lernplattform CAMPUS um das Thema Nachhaltigkeit erweitert. Wir arbeiten hier sehr eng mit Universitäten zusammen, damit unsere Inhalte immer auf dem neuesten Stand sind. 

Außerdem machen wir mit kleinen Aktionen das Thema greifbar: Dazu gehören die plastikfreie Kantine oder vegetarische Ernährung, die wir bei Hansgrohe anbieten. Zudem wollen wir auch unsere Car Policy überdenken, damit auf dem Parkplatz eines Tages mehr Elektro- als Dieselfahrzeuge stehen. Natürlich darf man da nicht in Schwarz-Weiß-Denken verfallen, denn Nachhaltigkeit ist multidimensional und komplex. Aber ich glaube, dass diese kleinen Elemente schon viel bewirken können. 

Den größten Hebel haben wir aber natürlich bei unseren Produkten, bei der Produktentwicklung und im Produktmanagement.

Dann lass uns über die Produkte sprechen. Was sind da derzeit eure größten Baustellen?

Bei Hansgrohe lässt es sich besonders gut beim Thema Wasser einsteigen. Denn vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass Deutschland ein Trinkwasserproblem hat. Schließlich kommt das Trinkwasser zu 70% aus dem Grundwasser, welches aber Jahr für Jahr weniger wird. 

Durchschnittlich verbraucht jede Person 130 Liter Wasser pro Tag. Da muss man sich schon fragen: Ist das wirklich sinnvoll? Viele kennen ihren Wasserverbrauch überhaupt nicht. Nehmen wir zum Beispiel das Duschen: Wie viele Liter Wasser strömen wohl pro Minute aus einer Brause? 

Pro Minute? 5 Liter.

Es sind eher 15 bis 20 Liter. Ich stelle diese Frage oft bei Vorstellungsgesprächen und die Antworten fallen sehr unterschiedlich aus und rangieren zwischen zwei und 200 Litern. 

“Eine Minute Duschen ist fast so wie eine Minute mit einem Tesla auf der Autobahn fahren.” 

Die meisten haben keine Vorstellung von ihrem Wasserverbrauch, und auch nicht davon, wieviel Energie für warmes Wasser aufgewendet wird. Eine Minute Duschen ist fast so wie eine Minute mit einem Tesla auf der Autobahn fahren. Natürlich gilt das nicht für jeden Haushalt, aber im bundesdeutschen Durchschnitt ist der Energieverbrauch ähnlich.

Das ist ja immens. Was bedeutet dieser hohe Energieverbrauch beim Warmwasser für euch?

Für Hansgrohe ergibt sich daraus eine einfache Gleichung: Wenn wir effizientere Produkte herstellen und so den Wasserverbrauch reduzieren, reduzieren wir auch den Verbrauch von Warmwasser, womit wiederum der Energiebedarf sinkt – und dadurch schließlich die CO2-Emissionen. Mit der Herstellung von effizienten Produkten haben wir also einen sehr großen Einfluss auf die CO2-Reduktion von ganz Deutschland und Europa. 

Dieser Einfluss ist viel stärker als die Umstellung unserer Produktion. Natürlich versuchen wir auch dort die Emissionen zu senken, aber viel effektiver ist der Fokus auf die Nutzung der Produkte – vor allem beim Warmwasser. In den nächsten zehn Jahren wird das Warmwasser-Sparen der größte Hebel zur CO2-Reduktion werden. 

Wie kann denn mehr Wasser gespart werden? An welchen Innovationen arbeitet ihr?

Zuerst wollen wir Transparenz schaffen. Wie vorhin erwähnt, wissen viele gar nicht, wie viel Wasser sie verbrauchen. Deswegen haben wir mit dem Produkt Pontos eine digitale Wasseruhr entwickelt, womit der Privatkunde seinen Wasserverbrauch im Auge behalten kann. 

Im zweiten Schritt entwickeln wir Produkte, die weniger Wasser verbrauchen, ohne dass daraus Komforteinbußen entstehen. Das ist wichtig, denn unsere Untersuchungen haben ergeben, dass beispielsweise beim Duschen der Wellness-Faktor eine wichtige Rolle spielt: Einige entschleunigen unter der Dusche, andere aktivieren sich morgens. Hygiene ist oft nur zweitrangig, und das müssen wir beachten. Der Kunde muss sich weiter wohl fühlen, auch wenn er mit weniger Wasser duscht. 

Drittens arbeiten wir am Aufbau von lokalen Wasserkreisläufen. Schließlich gehören geschlossene Kreisläufe zu den wichtigsten Maßnahmen beim Thema Nachhaltigkeit. Der natürliche Wasserkreislauf mit Verdunsten, Regnen und Versickern kann bis zu 1000 Jahre dauern. Um diese Zeit zu verkürzen, wollen wir den Kreislauf direkt im Haus oder im Badezimmer schließen. 

Das ist aber nicht so einfach, denn die Zulassungen und Normen in Deutschland und Europa sind hier sehr streng. Trinkwasser ist das Gut, das am meisten geschützt ist. Zurecht. Niemand will ein Hygieneproblem bekommen. 

Da du gerade Kreisläufe ansprichst: Auf welche anderen zirkulären Elemente setzt ihr noch, etwa in der Wertschöpfungskette?

Hier konzentrieren wir uns vor allem auf das Thema Messing. Von unseren Lieferanten wollen wir etwa wissen, wie viel Prozent des Messings recycelt ist. Außerdem schauen wir uns auf dem Markt nach Recyclaten um. Zudem geht es im Badezimmer auch oft um Design, nicht nur um Funktion. Das Ganze soll gut aussehen, man möchte sich wohlfühlen. Da Designer dafür ein Set an unterschiedlichen Materialien benötigen, kann man nicht nur auf Recyclate zurückgreifen. Badezimmer sehen heute eben nicht mehr wie Sanitäranlagen aus, sondern eher wie Wohnräume.

Wir arbeiten aber gerade einem spannenden Produkt, das wir nächstes Jahr auf den Markt bringen. Da sieht der Kunde auf den ersten Blick, dass ein Recyclat verwendet wurde. Ich denke aber, die Konsumenten gehen hier mit dem Trend und werden es trotzdem oder gerade deswegen kaufen. 

Da bin ich gespannt auf das nächste Jahr. Aber was ist, wenn du noch weiter in die Zukunft blickst? Wo steht Hansgrohe 2030?

Wir haben für 2030 die Vision, dass jede Person statt 130 Liter nur noch 80 Liter Wasser am Tag braucht – ohne Komforteinbußen. Es soll sich für die Kunden so wie heute anfühlen, aber mit deutlich weniger Ressourcenverschwendung. 

Wenn man das auf die Bevölkerung hochrechnet, würde das ja unheimlich viel Wasser und Energie einsparen. Möchtest du uns sonst noch etwas mitgeben?

Jeder Einzelne kann jetzt schon etwas beitragen, und zwar indem er einfach zwei bis drei Grad kälter duscht. Das tut der Umwelt und der Haut gut. Das ist bewiesen. 

Ich bin eigentlich Warmduscherin, aber da ich jetzt den Rieseneffekt kenne, werde ich das sofort umsetzen. Danke für das spannende Gespräch. 

Danke dir, und viel Spaß beim „Kalt-Duschen“. 

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