Leadership

Mindful Leadership: Welche Führungskompetenzen braucht es in Zukunft?

Im Interview mit der Mindful Leadership Expertin Esther Narbeshuber

Nina Rosar
Juni 14, 2023
6 min Lesezeit

Heute haben wir das Vergnügen, euch Esther Narbeshuber vorzustellen – eine inspirierende Persönlichkeit, die uns einen Einblick in die Welt des Mindful Leadership geben wird. Als Expertin auf diesem Gebiet hat Esther jahrelange Erfahrung in der Führung von Teams und Unternehmen gesammelt. Sie hat das Mindful Leadership Institute (MLI) gegründet, das mit seinen agilen und flexiblen Programmen Führungskräfte und Organisationen dabei unterstützt, ihre Führungskompetenzen durch achtsames und respektvolles Verhalten zu verbessern. 

Als international anerkannte Speakerin und durch ihre Bücher hat Esther Narbeshuber bereits viele Menschen inspiriert und dazu motiviert, ihre eigene Führungskompetenzen zu entwickeln und eine Kultur der Achtsamkeit und Empathie in ihren Arbeitsumgebungen zu fördern.  

Wir freuen uns sehr darauf, euch Esthers Gedanken und Erfahrungen im Rahmen eines Interviews vorstellen zu dürfen, und ganz besonders darüber, dass wir hier wertvolle Tipps teilen dürfen, die jede:r in seinen und ihren Arbeitsalltag integrieren kann.


Was ist Ihrer Meinung nach Mindful Leadership? Welchen Nutzen hat es für Unternehmen und welche Vorteile bietet es den Mitarbeiter:innen?

Wir erleben in unserer Arbeit erschöpfte Menschen in erschöpften Organisationen. Das zeigen auch die unfassbar hohen Burnout-Raten, inneren Kündigungen und so weiter. Führung, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten praktiziert haben, hat dazu beigetragen. Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Künftige Generationen werden sich so nicht mehr führen lassen. Was wir brauchen, ist mehr Führung auf Augenhöhe.

Mindful Leadership ist das nächste Level und die Voraussetzung, um in Zukunft Menschen für die Organisationen zu gewinnen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. Dazu gehört vor allem, Macht abzugeben, was vielen Führungskräften immer noch unglaublich schwerfällt. Und gerade hier unterstützt Mindfulness.

Der Zukunftsforscher Matthias Horx hat es auf einer unserer Konferenzen so treffend formuliert: „Mindfulness ist die Rückkehr ins eigene Leben.“ Das bedeutet, sich immer wieder bewusst in den gegenwärtigen Moment zurückzuholen. Wir kennen das ja beispielsweise vom Autofahren: Es geht alles aus der Routine heraus. Wir überlegen nicht jedes Mal, wenn wir den Gang einlegen. Das ist auch gut so, aber wenn wir alle Momente in diesem Autopilot-Modus verbringen, verpassen wir sozusagen unser Leben. Außerdem bedeutet es mehr Tiefenschärfe, d.h. ich bekomme auch hier mehr mit: die Emotionen, mein Gegenüber, aber mit einem gesunden Zugang. Es ist insgesamt ein volleres, satteres Lebensgefühl. Das ist gut für das Immunsystem, für die Lebenszufriedenheit, für die Leistungsfähigkeit und sogar für das Gehirn.


Können Sie das genauer erklären? Welche Wirkung hat Achtsamkeitspraxis auf unser Gehirn?

Mich faszinieren nicht nur die tollen, wissenschaftlich belegten Effekte, sondern vor allem das breite Wirkungsspektrum. Regelmäßige Achtsamkeitspraxis – und da reichen schon 10 Minuten täglich aus – führt nachweislich zu einer Verringerung des Stressempfindens, emotionaler Stabilität, einer Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit, einer Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit, der Kreativität und einer Stärkung des Immunsystems. Bestimmte Übungen stärken das Einfühlungsvermögen und die Selbstempathie und führen zu einer besseren Körperwahrnehmung und Intuition. Dies wird auch im Sinne eines mentalen Trainings im Spitzensport genutzt.

Diese positiven Effekte der Meditation kann man abrufen, weil das Gehirn wie ein Muskel trainiert werden kann. Es lernt durch Erfahrung und verändert sich dadurch. Positiv wie auch negativ, je nachdem, in welche Richtung ich trainiere.

Diese positiven Effekte der Meditation kann man abrufen, weil das Gehirn wie ein Muskel trainiert werden kann. Es lernt durch Erfahrung und verändert sich dadurch. Positiv wie auch negativ, je nachdem, in welche Richtung ich trainiere. Diesen Veränderungsprozess nennt man Neuroplastizität. Erst seit es das MRT gibt, konnten solche Effekte auch mit Schichtbildern aus dem Gehirn nachgewiesen werden. Und hier ist besonders spannend, dass sich Meditation auch positiv auf die Gehirnalterung auswirkt: Bei Langzeitmeditierenden gibt es einen verminderten Abbau der grauen Hirnsubstanz, zeigt zum Beispiel eine Studie von Luders et al (2015). Und länger geistig fit zu bleiben, das wünschen wir uns doch alle.


Können Sie ein konkretes Beispiel dafür geben, wie Mindful Leadership bei einem Ihrer Kunden erfolgreich umgesetzt wurde? 

Es gibt viele Unternehmen, die wirksame Achtsamkeitsroutinen etabliert haben. Bei SAP, Mercedes Benz, Bosch, Google gibt es beispielsweise eigene Meditationsräume, Treffen und Routine. Der gemeinsame Nenner vieler unserer Kunden ist, dass sie Dinge anders angehen. Beispielsweise Meetings, in denen sie auch wirklich die Dinge ansprechen, die im Raum sind. Das bedeutet, man geht dann nicht auseinander und denkt sich: „Sinnloses Meeting“. Sondern die Themen werden wirklich auf den Punkt gebracht und jeder und jede ist mit dabei. 

Selbst bei Kündigungsgesprächen kann man diese Kompetenz einbringen. Die sind oft desaströs für alle Beteiligten, weil Führungskräfte selbst unsicher und gestresst sind und dann dürre, herzlose Sätze finden oder herumeiern. Und die Mitarbeiter:innen gehen raus und sind verletzt. Es läuft ganz anders, wenn Führungskräfte sagen: „Unsere gemeinsame Zeit endet hier und ich danke Dir für all das, was Du eingebracht hast. Wir haben es gemeinsam nicht geschafft, dass Du Dein Potenzial hier so einbringen konntest, wie es für alle gut gewesen wäre.  Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute.“ Das macht für die weitere Entwicklung dieses Menschen einen riesigen Unterschied, aber vor allem auch für die Organisation und ihr Ansehen.    


Welche konkreten Tools und Techniken können Führungskräfte nutzen, um ihre eigene Achtsamkeit im Führungsalltag zu erhöhen? 

Jetzt entschuldige ich mich gleich zu Beginn. Nachdem ganz vieles zu dem Thema aus der Spitzenforschung von Harvard, Stanford oder dem MIT kommt, haben viele der Tools auch englische Bezeichnungen. Manche Kund:innen finden das klasse, anderen stellt es alle Nackenhaare auf. 

Ein tolles Tool kommt aus dem Spitzensport: das Box Breathing. Es stärkt das Immunsystem, führt zu mehr Fokus und Klarheit

  • Atme ein und zähle dabei bis 5.
  • Halte den Atem an und zähle bis 5.
  • Atme komplett aus, während du bis 5 zählst.
  • Halte den Atem an und zähle bis 5.
  • Fang wieder von vorne an. 

Oder auch das Wissen um die sogenannte „Biologische Prime Time“: Zu bestimmten Tageszeiten sind wir einfach leistungsfähiger als zu anderen. Wenn ich in meiner besten Zeit – das ist bei den meisten Menschen der Morgen – nur E-Mails abarbeite, vergeude ich Potenzial. Ein Tipp wäre mit den wichtigen To-Dos zu beginnen und Ablenkungen, wie Posteingang und Pop-ups, zu reduzieren.

Beim Intention Setting stimme ich mich vor einem Meeting darauf ein, dass das Outcome das beste Ergebnis für alle Beteiligten sein soll. Also nicht nur das, was ich will, sondern ein positiver, ganzheitlicherer Ansatz. Man geht ganz anders in Gespräche, beruflich wie privat, wenn man diesen Gedanken vorher fasst.

Ein anderes beliebtes Werkzeug ist das Journaling: Es ist wie Tagebuchschreiben, nur dass man einfach drauflos schreibt. Es wird für niemanden geschrieben, die Seiten können dann auch weggeschmissen werden. Journaling funktioniert wie eine mentale Müllabfuhr und bringt oft auch nach einiger Zeit des Schreibens Antworten und Lösungen zu Papier. Wir wissen von spannenden Führungspersönlichkeiten, die das regelmäßig machen. Beispielsweise wird zwei Minuten lang aufgeschrieben: „Was ist mir heute in Führung gelungen, was nicht?“, „Das hat mich heute geärgert, irritiert“ oder noch besser „Dafür bin ich heute dankbar“.

Nicht jeder dieser Hacks ist für jeden geeignet. Wenn ich ein bis zwei Ansätze finde, die wirklich zu mir passen, dann kann das einen großen Unterschied im Arbeitsalltag machen.


Haben Sie Tipps für uns, wie Führungskräfte oder jede:r einzelne die achtsamen Fähigkeiten in ihren Teams konkret fördern können? 

Die Basis, um Mindfulness in den Organisationen zu verankern, ist sicherlich das Mindset und die Erkenntnis, dass diese Techniken allen etwas bringen. Und vor allem auch Lust es auszuprobieren, denn es gibt nur zu gewinnen.

Ein supereinfaches Tool ist die Fokus-Übung „Check-In“. Es ist eine Art, sich zu Beginn eines Meetings, einer Gruppendiskussion, eines Seminars oder eines Treffens zu verbinden. Es ist eine Zeit des Teilens und Abladens, in der man sprechen kann, ohne unterbrochen zu werden. Diese Methode kann in Gruppen Denken und Fühlen verbinden und allen Beteiligten helfen, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren. Es ist wichtig, dass der Check-in kein Gespräch ist, sondern von einem Moderator geleitet wird, der am Ende zusammenfasst. Alle Beteiligten sind aufgefordert, mit Interesse, Neutralität und Offenheit heranzugehen.

Das Bekenntnis zu (bildschirmfreien) Auszeiten und aktiver, bewusster Pausengestaltung ist auch wesentlich, da sich nur in qualitativ hochwertigen Pausen Geist und Körper regenerieren können. Wer mit dem Handy in der Hand schnell in die Teeküche laufen muss, um dann gleich weiterarbeiten zu können, vergibt die Chance auf Erholung. Ein kurzer Mindful Walk, bewusstes Essen, eine Atemmeditation oder ein kurzer Bodyscan machen den entscheidenden Unterschied, wie fokussiert und gesund es nach der Pause weitergeht.


Wie kann Mindful Leadership dazu beitragen, eine positive Unternehmenskultur zu fördern? 

Die Zeit des klassischen hierarchischen Systems ist vorbei. New Work zeigt uns auf, dass wir hier in ein neues Paradigma übergegangen sind. Die Frage ist: Welche Unternehmen gehören noch zu den Early Adopters?

Führung auf Augenhöhe führt zu mehr Kreativität, Engagement und Eigenverantwortlichkeit bei den Mitarbeitenden. Und damit zu mehr Produktivität und Kundenzufriedenheit. Wenn ich Unterschiede wertschätze und von Stärken statt von Schwächen ausgehe, tut das dem gesamten Team- und Betriebsklima gut. Ebenso, wenn ich Wichtiges von Unwichtigem besser unterscheiden kann und mich nicht mehr blind in Dinge verbeiße, denn das führt in ein Ausgebranntsein.

Wesentlich ist aber auch, dass das persönliche Glücksempfinden aller Beteiligten steigt und damit Mindful Leadership bis ins Private ausstrahlt und umgekehrt. Dieses Win-Win-Prinzip ist aus unserer Erfahrung nach einer der schönsten Effekte.


Verfasst von:

Nina Rosar

Wofür stehst du auf? „Feelgood und Organizational Health für ein motiviertes und ausbalanciertes Team“, sagt unsere People & Culture Managerin. Entlang agiler Prinzipien gestaltet Nina neue und optimiert bestehende Prozesse für eine gesunde Organisation. Dabei stehen für sie stets die Nutzenden im Zentrum: unser Team und unsere Partner*innen. Getreu dem Motto „practice what you preach” ist Nina unser Role Model im Bereich Mindfulness.

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