Alles fließt und nichts bleibt; es gibt nur ein ewiges Werden und Wandeln.
Heraklit
Es ist noch gar nicht so lange her, da galt das Fließen – Veränderung, Change, Transformation – lediglich als vorübergehende Erscheinung, als zeitlich begrenztes Projekt mit klarem Anfang und Ende. Doch die Veränderungen im Umfeld von Organisationen sind heute so vielfältig, disruptiv und geschehen nahezu permanent, dass Veränderung keine temporäre Maßnahme mehr sein kann, sondern eine alltägliche Aufgabe werden sollte. Das hat weitreichende Konsequenzen: Organisationen stehen heute vor der Herausforderung, ihre Veränderungsfähigkeit zu stärken, das Lernen wieder zu lernen. Und das beginnt bei den Menschen selbst.
„Organisationen lernen nur, wenn einzelne Menschen etwas lernen… Wenn der einzelne Mitarbeiter nicht selbst die Motivation hat, sich den herausfordernden Aufgaben des Wachstums zu stellen, wird es kein Wachstum geben.“
Das schreibt Peter Senge in seinem immer noch lesenswerten Buch „Die fünfte Disziplin“. Er plädiert für Selbstführung und Persönlichkeitsentwicklung. Die Transformation einer Organisation braucht also den inneren Wandel der Menschen.
Doch was heißt das genau?
Was genau sollten Menschen – also wir lernen, um für den steten Wandel gewappnet zu sein? Allein auf einer fachlichen Ebene verändert sich viel. Doch was gilt es auf einer persönlichen und sozialen Ebene zu lernen? Was können wir lernen, um unsere individuelle Veränderungsfähigkeit zu stärken? Und: Wie können Teams ihre Veränderungsfähigkeit ausbauen?
Sachliche Ebene
Fachliche Kompetenzen: Das eigene Berufsfeld entwickelt sich ständig weiter. Hier lautet die Herausforderung, up-to-date zu bleiben und zu entscheiden, was für die eigene Tätigkeit relevant ist, und in welche Richtung man sich entwickeln möchte.
Technologische Kompetenzen: Wir lernen in immer kürzeren Abständen neue, vor allem digitale Technologien kennen – neue Formen künstlicher Intelligenz, weitere Automatisierung von Prozessen oder Tools zur Arbeitsorganisation. Hier ist unsere Offenheit gefragt, sich auf neue Anwendungen einzulassen sowie die Fähigkeit, sich diese zumindest ein Stückchen selbst erschließen zu können und für die eigene Arbeit zu nutzen.
Datenkompetenz: Das Verständnis und die Fähigkeit, datengetriebene Entscheidungen zu treffen, wird immer wichtiger. Hier müssen wir lernen, uns mit großen Datenmengen auseinanderzusetzen, sie für uns nutzbar zu machen, die richtigen Schlüsse für unsere Arbeit zu ziehen und Inhalte auf eigene Fragestellungen zu übertragen. In Zeiten von ChatGPT&Co. brauchen wir darüber hinaus die Kompetenz, den Output inhaltlich und stilistisch bewerten und anpassen zu können!
Agilität in der Problemlösung: Anstatt auf starre Prozesse zurückzugreifen, geht es darum, flexible Ansätze zu nutzen, die den Umgang mit dynamischen, unerwarteten Veränderungen ermöglichen. Methoden wie Design Thinking oder Agile Frameworks helfen dabei, schneller und dazu erfolgreicher auf Marktveränderungen zu reagieren. Das ist keine neue Erkenntnis, doch in vielen Organisationen sind kreative Denkweisen, agile Methoden und adaptive Prozesse noch längst nicht umgesetzt.
Persönliche Ebene
Selbst(er)kenntnis: Insbesondere Führungskräfte sollten ihre Fähigkeiten der Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion stärken. Das ist die Voraussetzung dafür, sich selbst und andere besser zu führen. Das bedeutet, Denkmuster zu entdecken, das eigene Verhalten besser zu verstehen, Emotionen wahrzunehmen und diese als wichtige Hinweise zu betrachten, um u.a. Konflikte und Stress rechtzeitig zu erkennen und dann einen gesunden Umgang damit zu gestalten. Achtsamkeitstechniken bieten hier wertvolle Unterstützung. Für tieferliegende Themen empfiehlt sich ein Coaching, um beispielsweise alte Glaubenssätze und überholte mentale Modelle zu bearbeiten.
Feedback: Für eigene Lernprozesse und eine kontinuierliche Entwicklung ist Feedback in Verbindung mit einer ehrlichen Selbstreflexion eine zentrale Fähigkeit. Wir sollten uns und auch unser Umfeld regelmäßig befragen: Was habe ich gelernt? Wie habe ich mich entwickelt? Was kommt auf mich zu? Wo kann ich mich verbessern? Und unbedingt auch mit einer positiven Haltung fragen: Worauf habe ich Lust, was interessiert mich, wo zieht es mich hin? Was passt zu mir und meinem Werdegang?
Resilienz: Bei all der Veränderung haben wir die Herausforderung, mit Unsicherheit umzugehen. Wenn alles fließt, gibt es kaum Sicherheit im außen, doch wir können lernen, das Fließen als etwas Gutes zu sehen und Veränderung als Chance und Normalität zu betrachten. Letzten Endes können wir Sicherheit nur in uns selbst finden. Dieses Vertrauen in eigene Fähigkeiten gewinnen wir, wenn wir uns bewusst machen, was wir in der Vergangenheit bereits erreicht, welche Veränderungen und Herausforderungen wir superduper gewuppt haben. Das soll kein Plädoyer dafür sein, die Umgebung auszublenden und sich ins Private zurückzuziehen! Es ist vielmehr die Idee, mit etwas mehr Gelassenheit auf die Dinge zu schauen, auf die wir keinen Einfluss haben und unsere Energie dort zu investieren, wo wir wirksam sein und gestalten können.
Flexibilität – oder anders formuliert – Anpassungs- und Gestaltungsfähigkeit: Es geht darum, die Situationen, in denen wir uns befinden, aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und in Bezug zu uns, unserem Verhalten und Denken zu setzen. Dann können wir bewusster entscheiden, ob und wie sehr wir uns anpassen sollten oder ob wir aktiv gestaltend neue, eigene Lösungen entwickeln. Kreativität und das Erlernen von Problemlösungsstrategien und darüber hinaus das Verständnis für systemische Zusammenhänge sind hier wichtige ergänzende Fähigkeiten.
Emotionale Intelligenz und soziale Kompetenzen: Wir sind und bleiben soziale Wesen, und in wilden Zeiten brauchen wir mehr und mehr die Fähigkeit, unsere Emotionen zu regulieren, um unsere sozialen Beziehungen nicht zu strapazieren (und auch nicht uns selbst). Gleichzeitig brauchen wir Empathie, um auf unsere Mitmenschen einzugehen, ihre Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und zu verstehen. Und „natürlich“ lernen wir miteinander am besten, im privaten und beruflichen Umfeld. Methoden aus dem Coaching und der gewaltfreien Kommunikation bieten wunderbare Ansätze, um individuell und gemeinsam zu wachsen.
Teamebene
Psychologische Sicherheit: Teams, die Veränderungen besser meistern als andere, arbeiten in einer Kultur der Offenheit und des Vertrauens. Das bedeutet, dass alle Teammitglieder ihre Spannungen offen und vor allem rechtzeitig ansprechen und dabei keine Angst vor negativen Konsequenzen haben – im Gegenteil: Das Teilen von Spannungen jeder Art ist willkommen und gilt als wertvoller Beitrag für das Wachstum des Teams. Diese Kultur kann wachsen, wenn Führungskräfte die ersten Schritte machen und offen über ihre eigenen Fehler und Unsicherheiten sprechen.
Zielbild: Ein klares Bild der gemeinsamen Zukunft hilft Teams, sich (auch) in einer unsicheren Umgebung zu orientieren und gemeinsam auf ein großes Ziel hin zu arbeiten. Ein Zielbild erleichtert Entscheidungen und hilft dabei, neue Entwicklungen gemäß des eigenen Vorhabens zu interpretieren und entsprechende Anpassungen und Weiterentwicklungen zu gestalten. Teams können gemeinsam lernen, Zielbilder zu entwickeln, die motivierend sind – und gleichzeitig so konkret, dass sie das Handeln im Alltag inspirieren.
Diversität und Inklusion: Vielfältige Teams sind erwiesenermaßen kreativer und anpassungsfähiger. Das liegt daran, dass unterschiedliche Perspektiven in die gemeinsame Arbeit einfließen und dementsprechend mehr Lösungen entwickelt werden. Auch kann Diversität dazu führen, dass Teams schneller auf Veränderungen reagieren. Vielfalt in den Kompetenzen, Erfahrungen und Denkweisen zu fördern, stärkt die kollektive Veränderungsfähigkeit, und es braucht die Fähigkeit zur Kollaboration:
Kollaboration: Die Zusammenarbeit in Teams war noch nie so wichtig wie heute. Warum? Weil die Komplexität der Aufgaben ein so hohes Maß erreicht, dass ein oder zwei Personen kaum die Expertise einbringen können, um eine angemessene Lösung zu entwickeln. Auch beobachten wir, dass in vielen Organisationen vermehrt bereichsübergreifende gearbeitet wird. Menschen, die sich manchmal gar nicht kennen und unter Umständen sogar konträre Ziele haben (weil sie eben aus unterschiedlichen Abteilungen kommen) sollen konstruktiv kooperieren. Das will gelernt sein.
Eine wichtige Frage schließt sich nun an: Wie können wir all diese Dinge lernen? Es handelt sich ja nicht um „klassische“ Lerninhalte, vielmehr geht es darum, übergeordnete Fähigkeiten zu erwerben. Hier sind Lernansätze gefragt, die stärker auf gemeinsame Erfahrung setzen.
Erfahrungsbasiertes Lernen
Diese Form des Lernens gibt uns die Möglichkeit, durch unsere Erfahrungen zu wachsen. Anstatt nur theoretisch über Veränderung zu sprechen, begeben wir uns aktiv in Situationen, die reales Handeln erfordern. Insbesondere Projekte, die sich durch ein hohes Maß an Unsicherheit und Komplexität auszeichnen, bieten die Chance, die eigene Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zu trainieren. Learning Journeys, in denen Führungskräfte und Mitarbeitende gemeinsam mit einem Coach ihre Komfortzone verlassen, sind ideale Lernumgebungen. Dabei können alle oben genannten Methoden und Prinzipien einfließen, damit sie in einem realen Kontext gelernt werden.
Für erfahrungsbasiertes Lernen spricht auch, dass sich neue Verhaltensweisen nur dann dauerhaft etablieren lassen, wenn sie regelmäßig geübt und gefestigt werden, und zwar im Alltag, denn nur dort sind sie relevant. Wir alle erinnern uns an tolle Off-Sites, in denen wir großartige Dinge gelernt haben, doch der Transfer in den Alltag gelingt in den seltensten Fällen. Das liegt daran, dass die Inhalte einen hohen Abstraktionsgrad haben, um für möglichst viele Personen und Situationen zu passen, und dann die Zeit und Kompetenz fehlt, dass Abstrakte zu konkretisieren, für den jeweiligen Kontext der Teams.
Kooperatives und geteiltes Lernen
Wir lernen am besten, wenn wir von anderen lernen und in kooperativen Umgebungen arbeiten, in denen wir Wissen und Erfahrungen austauschen können. Peer-Learning und die Unterstützung durch Kolleg:innen sind kraftvolle Werkzeuge zur Vertiefung. Auch kollegiale Fallberatung, Mentoring und Communities of Practice sind hier empfehlenswerte Formate.
Doch am wirksamsten ist die echte Arbeit im Team. Wenn wir gemeinsam arbeiten und dabei Neues ausprobieren, gemeinsam Fehler machen und aus diesen lernen, vertieft sich jegliche Lernerfahrung. Retrospektiven, Feedback-Runden und eine Kultur, die Fehler als Lernchance sieht, unterstützen das Lernen im Team. Dabei können Methoden aus dem Design und der Agilität helfen, wie z.B. das Prototyping.
Vielfältige Lernquellen und kontinuierliches Lernen
Wir sollten Zugang zu einer Vielzahl von Lernressourcen haben – ob Bücher, Schulungen, Expertenaustausch oder praktische Erfahrungen. Ein fortlaufender Lernprozess bedeutet, dass wir kontinuierlich aus verschiedenen Quellen und Kontexten neue Erkenntnisse gewinnen und diese in unsere Arbeit einbringen und dort ausprobieren. In gemeinsamen Reflexionen entsteht so eine ganzheitliche Lernumgebung.
Reflexion und Feedback
Diese beiden Punkte sind nicht nur wichtige Lerninhalte für die Zukunft, sie sind wichtige Aspekte unserer Lernerfahrungen selbst, denn Lernen erfordert, dass wir regelmäßig innehalten, um über unseren Lernerfolg nachdenken. Ohne Reflexion können wir uns nicht bewusst werden, was wir verändern wollen und bereits verändert haben. Daher steht am Beginn jeder erfolgreichen Lernreise eine Liste mit den Dingen, die wir lernen wollen, so dass wir zwischendurch schnell einen Überblick über unsere Fortschritte bekommen und gegebenenfalls nachjustieren können.
Verfasst von:
Barbara Posern