Transformation

Kultur, Transformation und Unabhängigkeit

Stefan Sagau und Sebastian Heilig im Gespräch über die kulturelle Transformation bei der Hamburger Sparkasse

Jonas Holzfäller
September 26, 2022
7min Lesezeit

Die Hamburger Sparkasse AG (Haspa) ist die führende Bank für Privatkunden und mittelständische Firmenkunden in der Metropolregion Hamburg. Wie viele andere Banken steht auch die Haspa nicht nur vor der Herausforderung, auf sich verändernde Rahmenbedingungen zu reagieren, sondern auch ihr Geschäftsmodell zu hinterfragen, um in Zukunft weiterhin eine relevante Rolle auf dem Markt zu spielen.  

Stefan Sagau (Senior Experte Change- und Transformationsprozesse bei Haspa | Hamburger Sparkasse) und Sebastian Heilig (Senior Experte Transformationsmanagement bei Haspa | Hamburger Sparkasse) haben sich mit ihren Kolleg:innen dieser spannenden Aufgabe angenommen und geben uns einen ehrlichen Einblick hinter die Kulissen der kulturellen Transformation der Haspa.

Was war der Auslöser der Transformation bei der Haspa? Was ist der Kerngedanke dahinter?

Sebastian Heilig: Mit unserer Transformation sind wir bereits 2016 gestartet. Getrieben vom Wettbewerb haben wir gemerkt, dass wir uns kulturell verändern müssen. Unser Geschäftsmodell wird sich in Zukunft erheblich wandeln. Und um da mithalten zu können, müssen wir agiler werden, andere Formen der Zusammenarbeit finden und die Potentiale sowie Talente aller Mitarbeitenden besser nutzen. 

Stefan Sagau: Auf die Geschwindigkeit der Veränderungen und den damit einhergehenden Herausforderungen – Stichwort VUCA, Regulatorik, FinTechs… – mussten wir reagieren. Um dem Personalabbau, wie bei vielen anderen Bankhäusern vorzubeugen, war es schlau, frühzeitig schon etwas zu ändern, um uns zukunftsfähig aufzustellen. Die gesamte Bankenlandschaft lag jahrzehntelang im Tiefschlaf und war eine ziemlich undynamische Branche. Während andere Industrien sich schon längst transformieren mussten, war es bei uns noch sehr ruhig. Aber dann kam es mit Wucht und viele Themen sind gleichzeitig auf uns eingeprasselt. Deshalb haben wir uns auch für eine Gesamthaustransformation entschieden. 

Was waren eure Herausforderungen vor der Transformation? 

Stefan Sagau: Ein großes Phänomen bei uns war das Silodenken. Dadurch, dass wir zu wenig vernetzt gearbeitet haben, konnten wir nicht die ganzen Potentiale unserer 4.000 Mitarbeitenden heben. Stattdessen hat jeder seine eigene Agenda abgearbeitet. Das war natürlich nicht mehr effizient. 

Wo steht ihr heute? Was hat sich verändert? 

Sebastian Heilig: Organisatorisch sind wir seit 1,5 Jahren mit acht Personen als eigener Unternehmensbereich verankert. Als erstes haben wir im Haus eine Vision entwickelt, verankert und vier Kernziele definiert. Neben der Wirtschaftlichkeit als Ziel stehen auf einer Ebene – und damit genauso wichtig – Innovationskraft, Weiterempfehlung und eine Kennzahl, die wir Energieindex getauft haben. Durch diese Priorisierung wird im Haus schnell klar, dass Kulturwandel nicht heißt, gemeinsam zu singen und zu tanzen, sondern ein echtes Ziel verfolgt: Nämlich wirtschaftlich erfolgreicher zu werden und relevant zu bleiben.

Im Haus wurde schnell klar, dass Kulturwandel nicht heißt, gemeinsam zu singen und zu tanzen, sondern ein echtes Ziel verfolgt: Nämlich wirtschaftlich erfolgreicher zu werden und relevant zu bleiben.

Könnt ihr den Sinn und Zweck des Energieindex genauer beschreiben? 

Stefan Sagau: Der Energieindex ist sozusagen unser Indikator dafür, ob sich unser Kulturwandel erfolgreich entwickelt bzw. zu erkennen, wo wir noch keine Fortschritte erzielt haben. Zu Beginn haben wir eine „Nullmessung“ gemacht, um die Ausgangssituation zu erheben. Alle Mitarbeitenden wurden zu verschiedenen Dimensionen, wie z. B. Organisationale Energie, Arbeitgeberattraktivität, Führung, Vision & Zukunft und Fehlerkultur befragt. Durch die Antworten hatten wir ein klares Bild davon, wie es dem Unternehmen aus der inneren Sicht ging. Mittlerweile zeigt uns der Index, dass sich die Energie bei den Führungskräften in ein gutes Niveau hinein entwickelt hat. Bei den Mitarbeitenden fehlt uns noch etwas die Durchschlagskraft. Bis sich die angestoßenen Veränderungen in der Breite durchgesetzt haben und sich in der DNA verankert haben, bedarf es auch Zeit. 

Dieser Zustand ist aber verständlich. Wir haben zuerst angefangen mit Führungskräften zu arbeiten, weil wir dort den größten Hebel sahen und sie die Transformation auch (vor-)leben müssen, damit sie nachhaltig wirksam wird. Das ist uns offensichtlich auch gelungen. Erst danach sind wir im Prozess umgeswitcht und haben unsere Aktivitäten so erweitert, dass die Mitarbeitenden in der Breite die Veränderung mehr erleben.

Erzählt doch gerne noch mehr zu eurem Team – wie seid ihr aufgestellt? 

Sebastian Heilig: Wir heißen Transformationsmanagement und sind direkt dem Vorstand zugeordnet, der uns nach allen Möglichkeiten fördert. Dabei haben wir das Glück, dass wir unabhängig aufgestellt sind – quasi eine Freigeister-Truppe. Es ist unserer Erfahrung nach wichtig unabhängig zu sein, weil man nur so in den Vorgärten mal eine Blume ausreißen kann und auch die Legitimation hat das zu tun. 

Stefan Sagau: Wir hatten die Chance für unsere Transformation ein komplett neues Team aufzubauen. Und so besteht das Team aus ganz verschiedenen Typen, Talenten und Hintergründen. Das ist sehr hilfreich und hat in der Kombination eine tolle Wirkung. 

Wie ist das Transformations-Management im Unternehmen entstanden? 

Sebastian Heilig: Der Bedarf hat sich im Prozess entwickelt. Initiativen zum Kulturwandel gab es auch schon vor 2016, aber die Nachhaltigkeit der Projekte war nicht gegeben. Daher war es für uns besonders entscheidend eine unabhängige Abteilung zu haben, die so ein Scheitern auch mal ungefiltert dem Management mitteilen kann. 

Ihr seid ja ein traditionsreiches Haus mit langer Geschichte und Kultur, die transformiert werden muss. Was sind die Herausforderungen und wie begegnet ihr diesen? 

Stefan Sagau: Unser Durchschnittsalter ist um die 50, die Betriebszugehörigkeit liegt im Durchschnitt bei 28 Jahren. Viele Mitarbeitende haben also eine lange Prägung im Haus. Der erste Schritt war überall ein Dringlichkeitsgefühl herzustellen, ohne Angst und Schrecken zu verbreiten. Natürlich kann man auch sagen: „Wir brauchen die Transformation, sonst sind wir bald weg“. Wir wollten aber positive Zielbilder aufbauen und zeigen, wie wichtig es ist, dass alle mitmachen und starten. Dringlichkeit zu erzeugen ist nicht immer einfach, aber dadurch kommt man in Bewegung. Man muss ehrlich sein – je größer die Dringlichkeit für die Transformation, desto einfacher ist es auch das Management von diesem Vorhaben zu überzeugen. Denn das Problem ist, dass wir ja immer erfolgreich waren und sich viele dann fragen: „Wieso soll ich mich denn verändern?“ Die notwendige Veränderung liegt bei uns zu 70% im Verhalten bei jedem/jeder Einzelnen und zu 30% bei den Prozessen.  
 

Natürlich kann man auch sagen: „Wir brauchen die Transformation, sonst sind wir bald weg“. Wir wollten aber positive Zielbilder aufbauen und zeigen, wichtig es ist, dass alle mitmachen und starten. 

Was ist es, was ihr täglich tut, um diese Veränderung herbeizuführen? 

Sebastian Heilig: Wir haben uns die schon beschriebenen Ziele gesetzt und mit unseren Angeboten versuchen wir diese zu erreichen. Beispielsweise dadurch, dass wir Menschen vernetzen. Zu diesem Zweck haben wir Communities of Practice aufgesetzt, die eigeninitiativ an Themen wie beispielsweise Führung arbeiten. Dann haben wir Räume geschaffen, um das Vertrauen in der Organisation zu stärken. Das machen wir beispielsweise dadurch, dass wir den Vorstand mit 15-20 Mitarbeitenden in Workshops zusammenbringen. Außerdem arbeiten wir eng mit HR zusammen. Mit der Fragestellung „Was bedeutet das Projekt kulturell?“ geben wir Input zu HR-Konzepten. Wichtig ist uns, dass wir nicht nur Führungskräfte sondern auch Mitarbeitende begleiten. Mit jedem Bereich, oder wenn man so sagen will, mit jedem „Silo“, haben wir anhand ihrer eigenen Verhaltensmuster Kulturworkshops durchgeführt und ihnen gezeigt, wie man Muster durchbrechen kann, um besser miteinander zu arbeiten. 

Stefan Sagau: Für eine wirksame Veränderung und um neue Muster bei Menschen zu etablieren, muss sich das, was wir hier machen, anders anfühlen als das, was vorher da war. Wir wollen positive emotionale Momente schaffen, damit alle mit dem Gefühl rausgehen: „Das war irgendwie anders und gut“. Und die beweisen, dass das hier nicht nur ein „One Hit Wonder“ ist, nach dem es dann wieder in den Alltag zurückgeht.

Welche Formate haben denn für euch richtig gut funktioniert? 

Sebastian Heilig: Das Format ist nicht das Entscheidende, sondern eher das Erlebnis, das man schafft. Das Zwischenmenschliche und wie man Dinge bespricht beispielsweise. Für uns war es ein komplettes Umdenken und etwas ganz Neues nicht nur auf Effizienz getrimmt zu sein, sondern auch vermeintlich Unnötiges zu tun, wo wir Intimität schaffen. Wir haben Gewinn-Denken, Verstand und Effizienz durch andere Facetten, wie „wir können auch mal verlieren“ ergänzt. 

Für uns war es ein komplettes Umdenken und etwas ganz Neues nicht nur auf Effizienz getrimmt zu sein, sondern auch vermeintlich Unnötiges zu tun, wo wir Intimität schaffen. 

Die Dialogmodelle zwischen Vorstand und den Mitarbeitenden waren erfolgreich. In Zukunftsworkshops haben wir nicht nur die Vision anfassbar vermittelt, sondern auch einen Austausch mit dem Vorstand geschaffen. Hier können Mitarbeitende das loswerden, was sie tagtäglich beschäftigt. Dieser Austausch ist für beide Seiten enorm wichtig, weil der Vorstand sonst nicht mitbekommt, was täglich in der Filiale passiert. 

Stefan Sagau: Was für uns großen Mehrwert gestiftet hat, sind die Communities of Practice. Hier kommen Menschen zusammen, die den notwendigen drive für ein bestimmtes Thema haben. Und das sind oft ganz andere Menschen als man erwartet hat, denn hier kommen auch die zum Zuge, die sich sonst eher im Hintergrund halten. Wir haben dieses Format intern ausgeschrieben und dadurch die Menschen gewonnen, die Impact zum Thema liefern können und wollen. 

Zu Beginn haben wir die Workshops noch moderiert und es danach komplett in die Hände der Teilnehmenden gegeben. Ab und an geben wir noch die Methoden rein, aber grundsätzlich agieren die Communities of Practice eigeninitiativ.

Was ist das Feedback bisher? Wie werdet ihr in der Organisation wahrgenommen? 

Sebastian Heilig: Da sind wir sehr selbstkritisch. Wir haben eine hohe Akzeptanz in der Managementebene und sind als Berater für unterschiedliche Inhalte sehr akzeptiert – was uns selbst überrascht hat. Bei den Mitarbeitenden sind wir teilweise noch nicht durchgedrungen. Alle Kolleg:innen werden täglich mit einer Vielzahl an Informationen konfrontiert, die sie verarbeiten müssen. Das führt dazu, dass sie die Transformation noch nicht verarbeitet bzw. noch nicht erlebt haben. 

Stefan Sagau: Damit wir in der Breite mehr Wirkung erzielen, haben wir ein Botschafternetzwerk initiiert, in dem mittlerweile 120 Mitarbeitende vertreten sind. Mit den Kolleg:innen planen wir viele Initiativen und die Botschafter:innen unterstützen uns dabei, die Themen in die Breite zu tragen. 

Ein kleines Team mit großer Aufgabe – wie priorisiert ihr euch? 

Stefan Sagau: Wir sind mit einer klaren Aufteilung gestartet: Einerseits gab es Strategen, die vorab geplant und initiiert haben und es gab Manager, die die Inhalte im Anschluss vermittelt haben. Davon sind wir mittlerweile jedoch abgekommen, haben diese Key Account Logik aufgegeben und gehen mit dem gesamten Team gemeinsam in die Projekte. So können wir die Stärken eines/einer jeden nutzen und das macht uns durchschlagsfähiger.

Wie arbeitet und strukturiert ihr euch? 

Sebastian Heilig: Was die Struktur angeht, funktionieren wir wie ein Start-Up. Wir haben tägliche Dailies, kollegiale Beratung, um uns untereinander zu unterstützen, Team Jams und dazu viel kreativen Spielraum, um eigenständig Formate zu bauen. 

Würdet ihr anderen Unternehmen empfehlen ein Transformationsmanagement aufzusetzen und was ist wichtig dabei? 

Stefan Sagau: Unbedingt. Es ist fast traurig, dass Transformation meist aus einer Notlage heraus gestartet wird. Eigentlich wäre es viel weitsichtiger, eine Transformation aus der Stärke heraus zu initiieren und zukünftig Veränderung als Normalität zu verstehen. 

Es ist fast traurig, dass Transformation meist aus einer Notlage heraus gestartet wird. Eigentlich wäre es viel weitsichtiger, eine Transformation aus der Stärke heraus zu initiieren und zukünftig als Normalität zu verstehen.

Wichtig ist definitiv ein gemeinsames Verständnis, was Transformation überhaupt heißt. Für uns ist die Transformation nie zu Ende. Es gibt nicht diesen Zielzustand, den wir erreichen und dann fertig sind. Diese Vision entwickelt sich immer weiter und auf dem Weg werden wir mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert, die dann auch wieder den Zielzustand neu definieren.

Meiner Ansicht nach gibt es eine Grundvoraussetzung für Transformationen: Der Vorstand und das Top Management muss sie wollen, sonst macht es wenig Sinn. Später können und sollten auch bottom up Initiativen entwickelt werden, aber ohne vorherige Legitimation und dem unbedingten Willen der Führungsebene ist das Vorhaben aussichtslos. Hilfreich ist immer, möglichst schnell „first mover“ zu identifizieren. Es ist leichter mit einer kleinen Gruppe zu starten und dann in die Breite zu gehen. 

Sebastian Heilig: Unabhängigkeit war für uns besonders essenziell, sonst ist man immer dem Thema der Einheit verpflichtet und kann nicht frei denken und handeln. 

Stefan Sagau: Als enorm gewinnbringend haben wir externe und branchenfremde Meinungen empfunden. Dadurch kann man Erfahrungen teilen und von außen gute Impulse reinholen. 

Sebastian Heilig: Wenn man sich dem Thema Kulturwandel zum ersten Mal annimmt, ist es spannend sich die Frage zu stellen, wie hoch der Anteil Verhaltens- versus Prozessveränderung ist, der für eine erfolgreiche Transformation stattfinden muss. Dann kann man sehen, wie wichtig und notwendig der Kulturwandel ist. 

Stefan Sagau: Kulturwandel ist für viele immer noch eine bunte Welt und es herrscht die latente Gefahr, sich darauf zu fokussieren, dass sich jede:r lieb haben und sich alle wohlfühlen sollen. Am Ende geht es aber schlichtweg darum, erfolgreicher zu sein. Dieses Verständnis ist wichtig, um nicht in die falsche Richtung zu laufen. Denn das Potential der meisten Unternehmen sind die Menschen vor Ort, die am Ende des Tages den Job machen müssen. Und in die muss investiert werden.

Vielen Dank für das spannende Gespräch und viel Erfolg für eure Transformationsreise.

Verfasst von:

Jonas Holzfäller

Innovative Lösungen, die unsere Welt einfach, unkompliziert und schöner machen treiben Jonas in seiner Arbeit als Organisationsdesigner an. Sein Ziel ist es, Organisationen zu entwickeln, die es Menschen ermöglichen innovative Ideen hervorzubringen. Ko-kreativ gestaltet und implementiert er strategische Lösungen, die zu den individuellen Bedürfnisse von Mensch und Organisation passen.

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