Innovation

Die Kraft der anderen Meinung

Wie Unternehmen von einem Ökosystem profitieren können

Diverse Autor*innen
März 14, 2022
5min Lesezeit

Der eine will dies, der andere will das. Man sitzt im Meeting und wünscht sich, dass schlicht eine Entscheidung getroffen und weitergemacht werden kann. Unterschiedliche Meinungen und die Konflikte, zu denen sie führen, können kräftezehrend und zeitraubend sein – zumindest auf den ersten Blick. Denn die meisten Unternehmen und auch die Wissenschaft wissen mittlerweile: Eine Diversität an Hintergründen und Meinungen kann Firmen voranbringen. Die Gleichung, der die meisten Unternehmen mittlerweile folgen, lautet: Diversere Unternehmen profitieren von diverseren Meinungen und treffen so reflektiertere und bessere Entscheidungen. All das dürfte nichts Neues sein. In den letzten Jahren entstanden unzählige Initiativen, die die Diversität der Mitarbeitenden und Führungskräfte innerhalb von Organisationen gezielt fördern sollen. Während dies ein immens wichtiger Baustein ist, gehen einige Unternehmen mittlerweile weiter: Warum nur die vielfältigen Meinungen und Ideen der eigenen Mitarbeitenden nutzen, wenn man auch von außen hilfreichen Impulsen bekommen kann?

Das Stichwort heißt hier Ökosystem. Je besser vernetzt eine Organisation innerhalb eines möglichst diversen Ökosystems aus beispielsweise Kund*innen, Wettbewerber*innen und Partner*innen ist, desto mehr können auch heterogene, externe Meinungen gehört und aufgegriffen werden. Dieser Netzwerkeffekt hat mittlerweile ein spannendes wissenschaftliches Fundament bekommen: Forscher*innen der Harvard University und der London School of Economics haben die Theorie der „Innovation im kollektiven Gehirn“ aufgestellt. Laut ihnen sollten wir uns die Welt, die Menschen und Organisationen darin, als riesiges Gehirn mit schier unendlichem Wissen vorstellen, das wir anzapfen können. Die Neuronen dieses Gehirns sind die Verbindungen zwischen Menschen und Organisationen. Je mehr unterschiedliche Verbindungen man hat, desto besser. Klingt logisch, oder? Doch die Fragen sind: Wie klinken sich Firmen am besten in dieses „kollektive Gehirn“ ein? Was braucht es konkret, um von der Diversität des eigenen Ökosystems maximal zu profitieren? Wie vermeidet man, dass externe Stimmen die internen Prozesse lähmen? In diesem Artikel wollen wir einen kurzen Blick auf die organisationsinternen Voraussetzungen werfen, die für eine erfolgreiche Einbettung im Ökosystem nötig sind.

Welche unternehmensinternen Voraussetzungen braucht es für einen erfolgreichen Ökosystem-Aufbau? 

1. Struktur und Prozesse für erfolgreiches Miteinander 

Als erste Voraussetzung sind die Strukturen und Prozesse zu nennen, die den Austausch mit dem vielfältigen Ökosystem überhaupt ermöglichen. Neben den klassischen Netzwerktreffen gibt es einige interessante Ansätze: So haben sich manche Unternehmen fremde Innovator*innen ins Haus geholt, indem sie gemeinsame Co-Working-Spaces für Startups und eigene Mitarbeitende anbieten. Auch Netzwerkformate wie offene Hackathons, bei denen externe Denker*innen Lösungen für interne Probleme erarbeiten, sind im Trend. Doch Firmen wie Tesla, Google und Twitter gehen noch weiter: Sie machen erste Schritte in Richtung einer „Post-Patent Economy“, also einer Wirtschaft, in der neue Ideen allen gehören. So hat beispielsweise Tesla 2014 erklärt, auf Klagen zu verzichten, sollte eine andere Firma ihre Patente nutzen. Was im ersten Moment altruistisch klingt, ist Ausdruck eines neuen Verständnisses der Potenziale, die ein eng vernetztes Ökosystem bietet. Wenn andere Teslas Ladetechnologie nutzen, profitieren auch Tesla-Kund*innen davon. Eine Ko-Evolution innerhalb des Ökosystems bringt am Ende die gesamte Branche weiter – und somit auch Tesla.

2. Radikale Offenheit für transparente Kommunikation 

Solche Strukturen gehen oft Hand in Hand mit einer Kommunikation, die in ihrer äußersten Form als „Radical Transparency“ bezeichnet wird. Mangelnde Transparenz wird schon seit Jahren als großes Problem für produktive Arbeit gesehen. Seit der Geburt des Internets ist diese radikale Transparenz ein PR-Tool, bei dem ehrliche Insights aus der Organisation veröffentlicht werden, um die öffentliche Debatte über das Unternehmen eigenhändig zu lenken. Besonders in der Klimadebatte wird von Konsument:innen immer mehr Offenheit über Logistik und Herstellungswege verlangt, was nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch gut für die Unternehmen ist. Immer mehr Unternehmen wagen sich noch weiter hinaus und teilen alle Gehälter, Gewinne und Verluste, Misserfolge. Aus einem PR-Tool wird Unternehmensstrategie. Das hat zur Folge, dass Entscheidungsgrundlagen für alle klarer werden und ein offener Meinungsaustausch auf Augenhöhe möglich wird. Und das ist eine tolle Voraussetzung für ein Ökosystem.

3. Das richtige Mindset mit dem Fokus auf Potenzialen 

Doch alle Prozesse und PR-Formate sind schön und gut, wenn das Unternehmen die neuen Meinungen und Ideen, die von außen zu ihm stoßen, nicht integrieren kann. Allzu oft wirken fremde Meinungen lähmend oder enden in unproduktiven Konflikten. Kein Wunder, dass sich dann die Organisation gegen die Einwände und Impulse von außen sträubt. Wie kann dies vermieden werden? Die Antwort liegt in der Kultur des jeweiligen Unternehmens. Ein wichtiges Stichwort ist hier das Konzept Growth Mindset.  

Als Growth Mindset bezeichnet man eine Denkweise, bei der der Fokus auf den Potenzialen von Menschen und Unternehmen liegt und nicht auf den statischen Kompetenzen. Anders formuliert, sieht das Growth Mindset den Status Quo nicht als Ausdruck der maximalen Leistung eines Menschen oder einer Organisation, sondern als Zustand, von dem aus man sich entwickeln kann und wird. Dieses Growth Mindset beginnt im Kleinen, bei einzelnen Mitarbeitenden, und endet in einem Verständnis des gesamten Ökosystems als Lernmöglichkeit. Konkret bedeutet das, dass beispielsweise konkurrierende Unternehmen nicht als ewige Widersacher gesehen, sondern Kollaborationspotenziale gesucht werden. Kund:innen sind keine passive Rezipient:innen, sondern Ideengebende, mit denen ein wertvoller Austausch aufgebaut werden kann.

4. Psychologische Sicherheit als Ergänzung zu Offenheit 

Um die gegenseitige Weiterentwicklung innerhalb des Ökosystems zu ermöglichen, müssen einzelne Mitarbeitende außerdem eine gewisse „Psychologische Sicherheit“ empfinden. Es muss möglich sein, auch mit Externen offen über interne Herausforderungen zu sprechen, ohne negative Konsequenzen zu fürchten. Kritische Meinungen von außen in die Firma zu tragen, darf kein Problem darstellen. Man könnte all dies schlicht unter dem Oberbegriff „Offenheit“ vereinen. Ohne interne und externe Offenheit können Unternehmen schlecht von den Potenzialen des Ökosystems profitieren.  

5. Vision als Zielbild des Ökosystems 

Doch Offenheit allein reicht nicht, wenn sie nicht zielgerichtet ist. Ein weiterer wichtiger Faktor für Unternehmen ist also, die eigenen Ziele klar zu haben. Was genau ist es, das Unternehmen aus ihrem Ökosystem ziehen wollen? Mit welchem Zweck wollen sie sich vernetzen? Was gebraucht wird, ist eine Vision, die über das eigene Unternehmen hinausgeht. Eine Vision, die die Mitarbeitenden und insbesondere die Führungskräften leben. So wird klar, warum und in welcher Form das Ökosystem für das Unternehmen relevant ist. Außerdem können die Prozesse und Kommunikation auf dieser Basis aufgesetzt werden. Um zu unserem Tesla-Beispiel zurückzukehren: Tesla begründete seinen offenen Umgang mit den eigenen Patenten damit, dass der Klimakrise mit geeinten Kräften (und mit mehr E-Autos) effektiver begegnet werden könne. Mit Sicherheit haben die bereits erwähnten wirtschaftlichen Vorteile ebenfalls eine Rolle im Entscheidungsprozess bei Tesla gespielt, aber die große, kommunizierte Vision ist emotional ansprechend und richtungsweisend für Mitarbeitende und Kund:innen. Das Image der Organisation als werteorientiertes Unternehmen steigt, während ein klares Ziel den Grundstein für allen zukünftigen Austausch innerhalb des Ökosystems legt.  

Das Gelingen vom Ökosystem fängt also im eigenen Unternehmen an. Neben passenden Strukturen und einer transparenten Kommunikation müssen die psychologische Sicherheit und ein Growth Mindset gefördert und hinter einer klaren Vision gebündelt werden. Nur so kann die Öffnung nach außen zielgerichtet und ehrlich stattfinden und neue, andere Meinungen können wirklich gehört und aufgegriffen werden. Es ist ein vielschichtiges Unterfangen, sich für das „kollektive Gehirn“ des Ökosystems zu öffnen – aber es lohnt sich.  

Wenn du mehr darüber wissen willst, wie wir gemeinsam auch deine Organisation in diesem Wandel begleiten können, dann freuen wir uns über deine Nachricht: hello@zero360.de

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