Innovation

Business Ecosystems – der unvermeidliche Shift im Neudenken von Geschäftsmodellen?

Ein Experteninterview mit Prof. Dr. Julian Kawohl

Diverse Autor*innen
März 14, 2022
6min Lesezeit

Prof. Dr. Julian M. Kawohl ist Professor für Strategisches Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und Experte für Business Ecosystems. Ob Praxis oder Wissenschaft, Konzern oder Startup, Fußball Bundesligisten oder produzierendes Gewerbe: Als Wandler zwischen den Welten kennt Julian viele Perspektiven. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, daraus Netzwerke und Wissen aufzubauen, damit Theorie und Umsetzung stärker voneinander profitieren können. Im März erscheint sein neues Buch „Ecosystemize your Business“ und unser Kollege Justin von Eickstedt hat das zum Anlass genommen, im Interview mehr Licht ins Dunkle des viel diskutierten Business Ecosystem Ansatzes zu bringen.

Wie kamst Du zu der Begeisterung für das Thema Business Ecosystems?

Mein prägendes Erlebnis war ein Netzwerktreffen mit Vorstandsvorsitzenden vor fünf Jahren, die sich alle mit Business Ecosystems beschäftigt haben. Wie es wirklich geht, das wussten aber nur die wenigsten, so dass lediglich mit Buzzwords jongliert wurde. Und das ist bis heute so. Unternehmen sehen häufig nur von ihrer eigenen Branchenperspektive auf die Welt. Wenn man den Blick aber hebt, dann sieht man, dass Ökosysteme massiv alle Unternehmen und Branchen betreffen werden.

Unternehmen sehen häufig nur von ihrer eigenen Branchenperspektive auf die Welt. Wenn man den Blick aber hebt, dann sieht man, dass Ökosysteme massiv alle Unternehmen und Branchen betreffen werden.

Ich glaube fest daran, dass die Bedeutung von Business Ecosystems viel größer ist, als sie bisher durchdrungen wurde. Hier liegt noch viel Potential auf der Straße. Die Frage ist nur von wem dieses Potential gehoben wird und wer es letztendlich auch hinbekommt.

Was ist überhaupt ein Business Ecosystem? 

Business Ecosystems sind Geschäftsmodelle, die Unternehmen gemeinsam betreiben und die den Endnutzer im Fokus haben. Man teilt Informationen mit Partnern, lernt gemeinsam, entwickelt Lösungen, sammelt Erfahrungen, um dadurch Mehrwert für den Kunden zu generieren. Ökosysteme schaffen ein nahtloses und integriertes Nutzererlebnis. So werden Kundenbedürfnisse dort besser und ganzheitlicher abgebildet als bei einem klassischen Einzelservice oder -produkt. Durch Convenience und geschaffene Standards muss der Kunde überhaupt nicht mehr aus diesem Ökosystem raus. Genau das nennt man dann den Lock-in Effekt.  

Apple ist hier ein nicht ganz neues, aber prominentes Beispiel: Ich kann als Kunde bzw. als Kundin zwischen mehreren Geräten hin und her wechseln. Kann mich in verschiedenen Themenfeldern wie Finanzen, Gesundheit, Entertainment, Fitness und Co. mittels des von Apple geschaffenen Ökosystems bewegen. Das geht nur, weil Apple das technologisch darstellt und auch die richtigen Partner hat, um die Kundenerfahrung so aufsetzen zu können.  

Am Ende sind Business Ecosystems eine neue Art und Weise ein Unternehmen zu positionieren und letztendlich Geschäft zu generieren. Aber mit viel größerem Potenzial das eigene Geschäft zu erweitern oder in eine ganz neue Richtung zu drehen. Das alles mit dem Ziel ein ganzheitliches Kundenerlebnis zu schaffen. Dieses Ziel hat einerseits für die Nutzenden den Vorteil, dass sie mehr bekommen. Stellt aber Unternehmen andererseits vor große Herausforderungen, weil sie diese Denkweise nicht gewohnt sind. Das hat den Grund, dass Unternehmen häufig in klassischen Business Units mit Produkten und Services denken, die singulär oder als Bundle verkauft werden.

Unternehmen werden vor eine große Herausforderung gestellt. Sie denken häufig in klassischen Business Units mit Produkten und Services, die singulär oder als Bundle verkauft werden.

Innovation Ecosystem und Business Ecosystem werden häufig synonym genutzt. Wie können wir diese Begriffe voneinander abgrenzen?

Das stimmt. Beispielsweise ist Berlin als Konglomerat von Ressourcen auch ein Ökosystem. Das Metaverse ist auch nichts anderes als ein virtuelles Ökosystem. Und es gibt Innovationsökosysteme, in denen Konzerne, Start-ups oder Unis mit dem Ziel gemeinsam zu innovieren ihre Ressourcen bündeln. Das ist eine Weiterentwicklung klassischer R&D Kooperationen auf andere Innovationsfelder, aber bezogen auf eine singuläre Innovation in einem begrenzten Zeitraum. Hieraus kann auch ein Business Ecosystem entstehen. Business Ecosystems sind auf ein langfristiges Ziel ausgelegt, in dem Unternehmen langfristige und wiederkehrende Geschäftsmodelle sowie Erfahrung miteinander aufbauen.  

Es gibt zwei große Unterschiede. Erstens setzen Unternehmen, die Angebote durch Ökosysteme machen, diese tendenziell mit größerem Fokus auf die Lebenswelt des Endkunden aufsetzen. Zweites agieren sie auch verbindlicher in der Zusammenarbeit mit Partnern.

Warum sind Business Ecosystems die Zukunft?

Wir erleben ein Phänomen, das Forschung und Beratungen „blurring of industries“ nennen. Im Zuge der Digitalisierung verschwimmen die Grenzen zwischen Branchen und alles wächst zusammen. Plattformen und Ökosysteme treten an die Stelle von singulären Produkten oder Services. Ungeahnte Wettbewerber steigen in den Markt ein. Als Unternehmen muss ich mir dann überlegen, ob ich mich mit anderen Unternehmen verbinde, oder sie abwehre.  

Wenn man einen Schritt weiterdenkt, dann ist irgendwann alles digital transparent und connected. Bedarfe von Menschen werden in dieser „real time Wirtschaft“ viel schneller entstehen und erfasst. Und darauf muss natürlich dann auch schneller reagiert werden. Dadurch wachsen auch Produktion und Kundenbedarfe viel enger zusammen. Wir erleben einen Paradigmenwechsel von B2B zu B2C zu Ecosystems-to-Human.

Wir erleben einen Paradigmenwechsel von B2B zu B2C zu Ecosystems-to-Human.

Am Ende geht es darum, wie man das Leben der Menschen verbessern kann. Der Purpose, den viele bereits lange haben, ist damit nicht mehr nur ein Versprechen, sondern kann real in Business Opportunitäten umgesetzt werden.  

Viele Industrieunternehmen sagen, dass sie mehr Datenpunkte brauchen, um ihren Kunden rechtzeitig zu helfen, wenn, oder auch bevor eine Maschine ausfällt. Diese Datenpunkte hat aber kein Unternehmen allein. Es muss sich mit anderen in einem Ökosystem verbinden, um diesen Mehrwert leisten zu können.  

Ein weiterer, großer Treiber für Ökosysteme ist Nachhaltigkeit. Wenn wir in Richtung Circular Economy denken, dann will ich als Unternehmen eine Optimierung, die ich allein nicht schaffen werde. Und so befeuern sich ökologische Transformation und digitale Transformation gegenseitig – und somit eben auch die Business Ecosystems.

Wenn man sich als Unternehmen mit anderen vernetzen möchte, um ein gesamtheitliches Werteversprechen für Kunden aufzubauen, dann stehe ich vor einer sehr hohen Komplexität, die viel Kommunikation bedarf. Was braucht es noch, damit ein Business Ecosystem funktioniert?

Kommunikation ist ja in allen Umgebungen relevant – auch für Ökosysteme. De facto sind vor allem die Einstellung und das Mindset wichtig. Ich muss verstehen, dass es manchmal besser sein kann und mehr Potentiale hebt, wenn ich mich öffne. Die größte Gefahr für den Erfolg der Zukunft ist der Erfolg der Vergangenheit.

Die größte Gefahr für den Erfolg der Zukunft ist der Erfolg der Vergangenheit.

Es muss die Bereitschaft da sein, sich hineinzubegeben und zu experimentieren. Genauso auch einen längeren Atem zu haben und nicht nur in Quick Wins zu denken. Bevor es in die Skalierung geht, müssen erstmal eine Infrastruktur geschaffen, eine Plattform gebaut und Partner gefunden werden, die dann final ongeboarded werden müssen.  

Damit sich Ökosysteme lohnen, braucht das Unternehmen eine gewisse Reife: Es braucht die Business Opportunity und der Markt muss natürlich auch da sein. Das eine funktioniert ohne das andere nicht.

Wie nähere ich mich dem strategischen Ökosystemaufbau?

Find the right scope. Als erstes muss ich die richtigen Portfoliothemen für ein Ökosystem aus strategischer Sicht finden. Dann überlegen, was die Bedarfe und die Probleme sind und wie diese ökosystemisch besser zu lösen sind. Es startet also mit einem mehr oder weniger klassischen Ideation-Prozess. Im Ökosystem Design geht es dann dahin über, wie und mit welchen Partnern ich den Ökosystemaufbau besser hinbekomme. Danach geht es ins Testing des Geschäftsmodells. Minimal Viable Ecosystem ist hier das Schlagwort. 

Es ist beruhigend zu wissen, dass man nicht noch etwas Neues erlernen muss, sondern designbasiertes Lösen von Problemen auch der Grundstein ist, um Geschäftsmodelle aus einer Ökosystembrille zu betrachten. Was sind denn die klassischen Hürden beim Aufsetzen eines Ökosystems?

Neben dem richtigen Mindset ist es die IT-Infrastruktur. Ebenso das Budget und ob ich in Konkurrenz zu anderen Themen, die vielleicht verständlicher sind, durch die Corporate Pipeline komme. Oder auch operative Herausforderungen wie die Frage, wie man sich beispielsweise die Erlöse teilt. Eigentlich habe ich die Herausforderungen wie im Business Development, nur in anderer Dimension und Komplexität. 

Welchen Tipp kannst du Innovationsmanagern geben, die ein Ökosystem etablieren möchten, aber merken, dass das nicht auf offene Ohren stößt?

Lies unser Buch (lacht). Aber ernsthaft – man muss das Thema selbst verstehen, Unsicherheit beheben und Dringlichkeit erzeugen. Es ist immer hilfreich sich ein Netzwerk aufzubauen und mit Impulsen von außen einen „sense of urgengy“ zu erzeugen. Wenn man selbst vordenkt und mit Hypothesen aufzeigt, wie sich Märkte entwickeln, dann holt man damit auch risikoaverse Menschen ab.  

Ich versuche immer zu vermitteln, dass eine Offenheit wichtig ist, auch wenn Ökosysteme vermeintlich heute noch nicht relevant sind. Lasst uns mit einem offenen Blick durch die Welt zusammenwachsender Branchen gehen. Nach Opportunitäten Ausschau zu halten, ohne sich von jedem Gegenwind abhalten zu lassen, ist der erste Schritt in die richtige Richtung. 

Lasst uns mit einem offenen Blick durch die Welt zusammenwachsender Branchen gehen. Nach Opportunitäten Ausschau zu halten, ohne sich von jedem Gegenwind abhalten zu lassen, ist der erste Schritt in die richtige Richtung. 

Verfasst von:

Diverse Autor*innen

Wir bei zero360 arbeiten auch interdisziplinär und ko-kreativ an unseren Publikationen. Mehr Informationen zu den Verfasser*innen findet sich am Ende eines Artikels.

Zum Profil

Einblicke, Studien und Inspiration

Erhalte unseren Newsletter

Weitere spannende Artikel