Wenn es darum geht, sich für die Zukunft richtig aufzustellen, müssen sich Unternehmen und Organisationen immer mehr die Frage stellen, welchen Nutzen sie nicht nur für ihre eigenen Kunden und Kundinnen, sondern auch für die Gesellschaft, die Umwelt und damit für unseren Planeten stiften.
Rund 95 Prozent aller deutschen Unternehmen sind Familienunternehmen. Bei knapp 3 Millionen Familienunternehmen ist das ein enormer Hebel, den wir für unseren Planeten in Bewegung setzen können. Viele Unternehmen fragen sich, wie sie vorgehen sollen und was der erste Schritt zu mehr Nachhaltigkeit sein kann.
Auf der Suche nach Antworten lohnt es sich, von anderen zu lernen und in den Diskurs zu treten. Deshalb freuen wir uns, dass wir mit Christoph Wendker, Vice President Corporate Sustainability and Regulatory Affairs bei Miele, einen ausgewiesenen Experten zum Thema Nachhaltigkeit für unser Whitepaper „Nachhaltigkeit ehrlich denken“ gewinnen konnten.
Nachhaltigkeit hat bei Miele einen sehr hohen Stellenwert. Ziel ist es, das nachhaltigste Unternehmen der Branche zu werden. Die seit fast 125 Jahren geltende Maxime „Immer besser“ gilt dabei insbesondere auch für Energieeffizienz und Umweltschutz.
Herr Wendker, wir sprechen über Übergänge in nachhaltige Zukünfte. Was würden sie denn sagen, wo steht Miele auf dieser Reise?
Ich glaube, dass Nachhaltigkeit generell eine Reise ist und wir uns ständig im Wandel befinden. Miele hat schon viel erreicht, worauf wir stolz sind. Aber wir sind weiter der Meinung, dass es immer etwas zu verbessern gibt. Ganzheitlichkeit hat dabei einen hohen Stellenwert in unserer Nachhaltigkeitsstrategie. Das hat enorme Auswirkungen darauf, wie wir Produkte und Dienstleistungen und unser eigenes Handeln gestalten.
Unternehmen bewegen sich oft in dem Spannungsfeld, wie sie ihr Handeln perfektionieren können. An unseren Standorten denken und handeln wir ganzheitlich. Wir haben unser selbstgestecktes Ziel, bis 2030 50% CO2 an unseren Standorten und beim Energiebezug einzusparen, bereits erreicht. Aber trotzdem arbeiten wir weiter daran, die Menge des eingekauften Stroms zu reduzieren, damit möglichst viel Grünstrom auch anderen Marktakteuren zur Verfügung steht und damit der Gesamt CO2-Ausstoß weiter sinkt. Zum Beispiel mit der Installation von Photovoltaik oder auch Geothermie an vielen unserer Standorte.
Auch Produkte können oft nur in ihrer Gesamtheit und im Zusammenspiel mit anderen Produkten dem Kunden und der Kundin das beste Ergebnis liefern und auch die Umweltauswirkungen minimieren. Das halten wir auch für den gebotenen Weg. Bei Miele kann ich das am Beispiel von Waschmaschinen und Wäschetrocknern erklären. Unsere Waschmaschinen sind bekannt dafür, dass sie schwer sind. Das ist kein Selbstzweck, sondern sorgt dafür, dass egal ob neun Kilo oder nur ein Bademantel gewaschen wird die Wäsche optimal ausgeschleudert wird. Dadurch wird dann auch ein wesentlich geringerer Energieverbrauch beim Trocknen erreicht, denn Wäsche zu entfeuchten ist im Trockner mindestens fünf Mal energieintensiver als beim Waschen. Das fällt in der Regel nicht auf, wenn man die Waschmaschine solitär betrachtet. Aber wenn man sie im Verbund sieht, ist das ein ganz wesentliches Thema. Diese Systeme ganzheitlich zu denken, ist immer von Vorteil für die Kundinnen und Kunden und die Umwelt.
Sie haben Ihre integrierte Nachhaltigkeitsstrategie schon erwähnt. Welche Schritte gehen sie konkret und welche Hürden sehen Sie im Moment?
Bereits seit 1990 berichtet Miele über Umweltziele, seit 2002 gibt es einen Nachhaltigkeitsbericht und seit 2011 die erste zentrale Nachhaltigkeitsstrategie. Unsere Strategie wird in einzelne, konkrete Nachhaltigkeitsprogramme für unsere Geschäftsbereiche heruntergebrochen, die dann eigenverantwortlich für die Umsetzung zuständig sind. Das macht unsere Organisation stark und hilft uns, mit Komplexität umzugehen.
Allerdings ist es auch eine der größten Hürden, dass es so viele Möglichkeiten in der Nachhaltigkeitstransformation gibt. Dementsprechend ist allein die Diskussion, welchen Weg man gehen soll, oft nicht so einfach und es gibt viele verschiedene Möglichkeiten.
Miele hat sehr ehrgeizige Ziele für die Zukunft und wir haben uns in der Vergangenheit schwergetan, etwas zu kommunizieren, was noch nicht abgeschlossen ist. Es ist aber sehr wichtig, den Mitarbeitenden, Kundinnen und Kunden und Stakeholdern Orientierung zu geben, wohin man als Unternehmen will. Das ist auch ein Risiko, wenn man sich in diesem relativ unsicheren Feld nach außen wendet und damit auch eine Verpflichtung eingeht. Was uns dabei hilft, Themen nach innen zu platzieren und unser Engagement nach außen transparent zu machen, ist zum Beispiel die Science Based Targets Initiative als eines der wichtigen externen Nachweissysteme.
Zudem haben wir uns drei Versprechen verschrieben, die unsere Nachhaltigkeitsbemühungen auf den Punkt bringen.
- Make sustainability happen at every step. Wir betrachten jeden Schritt einzeln, aber auch immer in der Gesamtheit. Wir fragen uns, was wir als nächstes tun müssen, aber entscheiden auch, Dinge nicht zu tun, wenn wir erkennen, dass sie falsch sind, obwohl sie zunächst erstmal von der Gesellschaft als sinnvoll und wichtig angesehen werden.
- Make appliances that won’t leave a mark. Wir wollen Geräte so bauen, die keinen CO2 Footprint hinterlassen und auch dass sie in einer noch nicht absehbaren Zeit am Ende auch klimapositiv werden.
- Giving our appliances a new life. Heißt, wir wollen unserem Planeten etwas zurückgeben und die Geräte in der einen oder anderen Weise wiederverwenden. Unser Ziel ist es, eine zirkuläre Wertschöpfungskette zu erschaffen, in der alle verwendeten Materialien am Ende ihres Lebenszyklus in den Kreislauf zurückkehren.
Bei allen Herausforderungen ist die Zirkularität sicherlich das dickste Brett, das es zu bohren gilt. Da sind wir sicherlich nicht ganz am Anfang, aber durch die Komplexität, die besonders in der Auswahl der richtigen Geschäftsmodelle und Partner liegt, ist dieses Thema zu steuern kein einfaches Unterfangen. Miele hat natürlich den Vorteil, dass unsere Produkte auf eine Lebensdauer von bis zu 20 Jahren hin entwickelt werden, was uns in Bezug auf Wiederverwendung und Recycling vor andere Herausforderungen stellt als die meisten anderen Unternehmen, die kürzere Produktlebenszyklen haben. Wenn ich ein Material nur alle 20 Jahre recycle, ist die Degeneration des Materials natürlich geringer, als wenn ich das alle fünf Jahre mache. Aber die regulativen Anforderungen an Materialien können nach 20 Jahren ganz andere sein als 20 Jahre zuvor.
Auch intern ist Zirkularität eine große Herausforderung. Ein Unternehmen wie Miele besteht aus definierten Verantwortlichkeiten der einzelnen Funktionen, die durch Zirkularität und neue Geschäftsmodelle schnell komplett auf den Kopf gestellt werden. Diesen Wandel gilt es, in der richtigen Weise zu moderieren.
Zirkularität beschäftigt viele Organisationen im Hinblick auf Geschäftsmodelle. Jetzt haben sie gesagt, dass auch die Organisationsstrukturen beeinflusst werden und Positionen und Verantwortungen fallen durcheinander. Können Sie das genauer erklären?
Nehmen wir das heutige lineare System. Ich muss ein Gerät entwickeln, das sich in Bezug auf die Kosten selbst trägt und entsprechende Ergebnisse liefert, so dass die einzelne Einheit als rentabel angesehen wird. In einem Kreislaufsystem ist die Rentabilität nicht so einfach zu messen. Es ist eine Wette auf die Zukunft. Sie haben nicht direkt den Umsatz, nachdem sie ein Gerät gebaut haben, sondern sie müssen das Gerät in ein System bringen, von dem sie erwarten, dass sie in zehn, fünfzehn oder mehr Jahren Material zurückbekommen, das sie wieder verwenden können, um neue Geräte zu bauen.
In einem Kreislaufsystem ist die Rentabilität nicht so einfach zu messen. Es ist eine Wette auf die Zukunft.
Dann gehen sie noch eine Wette auf die kommenden Regulierungen ein, die auch die Möglichkeit der Wiederverwendung massiv verändern können. Wenn sie zum Beispiel einen hochwertigen Kunststoff in ihrem Produkt verwenden, in dem vielleicht aus regulatorischer Sicht irgendein Stabilisator nicht mehr wiederverwendet werden darf, dann können sie das Material nicht eins zu eins wiederverwenden, sondern müssen es wieder aufbereiten. Dafür wird es sicherlich Technologien geben, aber es kann deutlich teurer werden.
Das alles schafft Unsicherheit. Die Frage ist auch, wo die Wertschöpfung stattfindet. Das heißt, wer bekommt welchen Anteil und wer hat auch organisatorisch welchen Anteil an den einzelnen Geschäftsmodellen? Ist es eine Einheit, die vielleicht ausgelagert ist und zum Beispiel in einem Mietkonzept oder einem Pay-per-Use-Konzept vermarktet? Findet das dann innerhalb der Organisation statt oder außerhalb? Da entstehen sehr spannende Projekte, aber man muss erst einmal die erste Hürde nehmen, sich mit dem Thema Kreislaufwirtschaft zu beschäftigen. Und das braucht natürlich auch Bereitschaft, so etwas zu bewegen.
Wie geht Miele konkret damit um, den CO2-Fußabdruck und die Umweltauswirkungen der Produkte zu reduzieren?
Mir geht es immer um eine ganzheitliche Betrachtung der Themen. Wir sind als Unternehmen CO2-neutral in Scope 1 und 2. Das ist schön. Aber wenn man einen Schritt zurück geht, dann machen Scope 1 und 2 bei uns nur ein Prozent unserer anrechenbaren Emissionen aus. Rund 85 Prozent der Emissionen entstehen bei Miele in der Nutzungsphase der Produkte. Da müssen wir genauer hinschauen und sehen, wo wir den größten Hebel haben und wo wir die größte Wirkung erzielen können. Das halte ich für sehr wichtig, auch wenn es nicht so einfach ist, dort einen Mehrwert zu schaffen. Was für uns zählt, ist das, was wirklich bei den Kundinnen und Kunden oder in der Umwelt ankommt. Also das, was an Kilowattstunden oder Wasserverbrauch auf dem Zähler steht. Das wollen wir managen, reduzieren und das Optimum für Umwelt und die Kundinnen und Kunden erreichen. Erst dann haben wir unseren Job gut gemacht.
Spannend. Miele trifft Entscheidungen für CO2-Neutralität, verpflichtet sich Nachhaltigkeitsstrategien und Assessments. Entscheidet sich Dinge zu tun, weil man kann und will. Nicht weil man muss. Was machen Sie richtig, was können andere von Ihnen lernen?
Ein offenes Geheimnis für diese Art des Wirtschaftens ist sicher, dass wir durch und durch ein Familienunternehmen sind. Nächstes Jahr feiern wir unser 125-jähriges Bestehen. Miele hat sich schon bei der Gründung die Frage gestellt: Was können wir anders machen? Schon damals haben sich die Gründer entschieden, Spitzenqualität als Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb zu bauen. Und diese Einstellung hat das Unternehmen immer begleitet. Das heißt, wir akzeptieren zum Beispiel, dass es Investitionen gibt, die sich nicht sofort rechnen.
Aber man muss auch sagen: Es wird nicht einfacher. Die Zielkonflikte nehmen zu, und gerade in Krisenzeiten ist es nicht einfach, damit richtig umzugehen. Es reicht nicht, einen Chief Sustainability Officer zu installieren und zu sagen, macht mal. Das funktioniert nicht. Nachhaltigkeit muss integrativ gedacht werden, sie muss gewollt sein und ohne diesen Rückenwind aus der Geschäftsleitung aber auch bei den Mitarbeitenden wird es nicht funktionieren.
Verfasst von:
Dr. Nadja Berseck
Verfasst von:
David Engelhardt