Leadership

„Menschen wollen Ziele haben, hinter denen sie stehen können.“

Torsten Uhlig, Vorstandsmitglied der SIGNAL IDUNA Gruppe, über Zielbilder und die neue Rolle von Führung

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November 29, 2023
6 min Lesezeit

„Meine berufliche Entwicklung würde ich in zwei große Blöcke einteilen – alles vor 1989 und alles, was sich nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten abgespielt hat.“, sagt Torsten Uhlig, der 1966 in Zittau geboren ist. Nur 1,7 Prozent der Ostdeutschen haben es in Vorstandsgremien größerer Unternehmen oder Konzernen geschafft. Und er gehört dazu.

Gestartet als Versicherungsvertreter, ist Torsten Uhlig nach verschiedenen Führungspositionen im Vertrieb, der Leitung des Marketingbereichs und Vorstandsmandaten bei mehreren Konzerntöchtern seit 2019 Vertriebsvorstand der SIGNAL IDUNA Gruppe. 

Im Interview mit uns spricht Torsten Uhlig über Zielbilder, die neue Rolle von Führung und warum diese Aspekte entscheidend für den Wettbewerbsvorteil von Unternehmen sind.

Herr Uhlig, welche Rolle spielen Zielbilder und Ziele für Sie und für die SIGNAL IDUNA?

Zielbilder sind wichtig – sowohl für Unternehmen als auch für jede einzelne Person, um Orientierung zu haben.

Kolleginnen und Kollegen, die mich jetzt seit über 30 Jahren in meiner beruflichen Entwicklung begleiten, haben mir bei meiner Berufung in den Konzernvorstand gesagt: „Du wolltest schon immer in den Vorstand.“. Das mag ich mit Mitte 20 ganz unbekümmert gesagt haben, ohne mir aber der Tragweite dieser Aussage überhaupt bewusst zu sein. Wahrscheinlich war es dennoch ein unterschwellig wirkendes Lebensziel.  Ein wichtiger Faktor auf diesem Weg waren Entscheidungen, die sich speziell für meine Familie sehr tiefgreifend gestalteten, was uns aber glücklicherweise nur noch mehr zusammengeschweißt hat. Die Familie hat sich bei der Erfüllung meiner beruflichen Ziele eingeordnet. Ein anderes Beispiel: Weil ich immer auf der Suche nach Weiterentwicklung und Lernen war und bin und gleichzeitig auf Grund meiner Sozialisierung keinen direkten Bildungsweg wählen konnte, habe ich beispielsweise noch mit Mitte 40 als einer der ältesten Studierenden mein Diplom in Wirtschaftswissenschaften in der St. Gallen Business School abgelegt.

Beruflich bin ich aus meiner vertrieblichen Historie damit aufgewachsen, über Ziele zu führen. Die Frage ist eben, wie Ziele definiert sind. Also nicht nur in Anbetracht der wirtschaftlichen Auswirkungen, sondern auch hinsichtlich ethisch-moralischer und nachhaltiger Aspekte.

Zielbilder sollten so aufgestellt sein, dass Mitarbeitende aktiv daraufhin arbeiten können, und die Erfüllung als erstrebenswert und belohnend empfinden. Nur dann können sich hinter Zielbildern auch Gemeinschaften bilden und Kultur weiterentwickeln.

Die Frage, die sich jetzt anschließt, ist, wie diese Ziele entstehen. Wir können nicht basisdemokratisch über Ziele entscheiden, aber es ist wichtig, die vorgegebenen Ziele erstrebenswert zu gestalten, sich den Folgewirkungen klar zu sein und sie im Miteinander zu verfolgen. So entsteht Energie und Motivation für einzelne Personen.

Gerade in den letzten Jahren sind die Ziele, die wir als SIGNAL IDUNA verfolgen, immer ambitionierter geworden, was verständlicherweise zu Beginn auch zu Unruhe innerhalb der Organisation, speziell im Vertrieb, geführt hat. Wir haben diese anspruchsvollen Ziele immer als Ambition verstanden und sehr klar kommuniziert, wohin wir wollen.

Wie kam es zu der Entscheidung, die SIGNAL IDUNA mit stärkerem Kundenfokus zu strukturieren?

Welche Alternativen hat man im Aufbau in der Versicherungswirtschaft, wenn man die Aufbau- und Ablauforganisation neu denkt? Es besteht die Möglichkeit, sich sehr klassisch spartenorientiert aufzustellen, was übrigens auch der einfachste Weg überhaupt ist, weil wir in unserer Branche allein aus regulatorischen Vorgaben heraus eine Spartentrennung durchführen müssen. Oder man kann, was allenthalben auch in anderen Branchen als mögliche Variante genommen wird, die Organisation in der Erarbeitung von Produkten, von Lösungen und von Services nach soziodemografischen Aspekten der Zielgruppe aufteilen.

Wir sind bei SIGNAL IDNUNA anders herangegangen und haben uns die Customer Journey angeschaut. Dabei haben wir uns zunächst gefragt, wie wir in den Relevant Set der Menschen kommen, sie davon überzeugen, dass unsere Produkte und Lösungen genau das richtige für ihre Bedarfe sind und sie sich bei uns versichern. Wir haben weiter untersucht, wie unser Service gestaltet werden muss, um die Ansprüche und Erwartungen zu erfüllen und letztendlich den Kunden nachhaltig an uns zu binden und die Intensität der Kundenbeziehung auszubauen. Nach diesem Prozess sind wir zu der Entscheidung gekommen, uns entlang der Kundenanliegen aufzustellen. Und das in einer Konsequenz, mit der es andere Unternehmen bisher nicht getan haben.

Eine Folgewirkung der Aufstellung nach Kundenanliegen ist, dass die strikte Spartenzuordnung an dieser Stelle verlassen wird. Denn die Kunden denken nicht in Versicherungssparten, sondern in Problemstellungen, für die er oder sie  von uns eine Lösung erwartet. Dabei ist es egal, ob das Problem durch eine Lebensversicherung oder Krankenversicherung geklärt wird. Das bedeutet, man muss noch stärker cross-funktional denken und gleichzeitig aber die regulatorisch vorgegebene Spartentrennung im Auge behalten. Dadurch ergibt sich an der ein oder anderen Stelle schon mal größere Komplexität.

Unsere Mitarbeitenden haben aus der Historie heraus spartenbezogen und eher wasserfallartig gearbeitet und müssen nun spartenübergreifend, cross-funktional und nach Kundenanliegen denken. Die Herausforderung ist, die Expertise zu bestimmten Sachverhalten zu behalten und gleichzeitig aber auch andere Themen dazuzulernen. Und wir müssen gleichermaßen darauf achten, dass bestimmte Expertisen und Fähigkeiten dabei nicht verkümmern.

Welche Führungsstile haben Sie bei der SIGNAL IDUNA bereits selbst erlebt und gelebt?

Die Führungsstile haben sich natürlich in den 30 Jahren meiner Tätigkeit erheblich verändert. In den 90er Jahren waren wir sehr viel stärker hierarchisch geprägt und es gab nicht nur klare Ansagen, welche Ziele erreicht werden sollten, sondern auch wie sie erreicht werden. Heute arbeiten wir mit einem erstrebenswerten, gemeinsamen Ziel, und haben eine sehr viel größere Bandbreite und Individualität in der Art und Weise, wie wir dieses Ziel erreichen und welche Methoden eingesetzt werden.

Auch die Rolle der Führungskräfte hat sich sehr stark verändert. Heute ist es essenziell, mit Achtsamkeit und Sensibilität zu führen und darauf zu schauen, welche Rahmenbedingungen und welches Miteinander es braucht, um Bestleistungen zu erreichen. Hier sind Mitarbeitende gleichermaßen in der Kunden-Rolle.

Ich habe in den über 30 Jahren als Führungskraft gelernt, dass Führung immer sowohl in einer vertikalen als auch in der horizontalen Richtung funktioniert. Ich führe diejenigen, die mir organisatorisch zugeordnet sind, aber ich kann ebenso als Mitglied eines Teams führen und darüber hinaus auch auf meine eigene Führungskraft Einfluss nehmen. Besonders wichtig ist, dass die Werte unseres Führungsleitbilds, wie beispielsweise Anstand, Vertrauen und Offenheit, vorgelebt werden und wir dazu auch Feedback einholen.

Eine ehrliche Rückmeldung darüber, was wir gut meinen, aber vielleicht nicht gut machen, ist extrem wichtig für den Fortschritt in der kulturellen Weiterentwicklung von Unternehmen.

Vor welchen Herausforderungen stehen Sie bei der SIGNAL IDUNA in Sachen Führung und Kultur?

Kultur entwickelt sich nicht von allein, sondern es ist nötig, dass wir uns immer wieder bewusst mit dem Thema Kultur und Führung auseinandersetzen. Eine Weiterentwicklung von Kultur und Führung passiert nicht einfach. Wir müssen uns aktiv dafür Zeit nehmen. Das ist natürlich eine Herausforderung, bei allen großen Themen, die täglich anstehen, sich diese Zeitfenster auch zu nehmen.

Eine Weiterentwicklung von Kultur und Führung passiert nicht einfach. Wir müssen uns aktiv dafür Zeit nehmen.

Eine zweite Herausforderung ist sicherlich, dass viele Mitarbeitende den Umgang mit Feedback – besonders gegenüber ihrer Führungskraft – aus der Historie heraus nicht immer gewohnt waren. Es ist ein großer Entwicklungsschritt, diese neuen Freiheiten auszufüllen, sich im Team selbst zu organisieren und auch selbst zu regulieren.

Wir haben in den einzelnen Teams auf freiwilliger Basis Kulturbotschafter geschaffen, welche die Aufgabe haben, immer wieder das Verhalten der Teams und der Führungskraft zu reflektieren. Mit diesen Kulturbotschaftern treffe ich mich mindestens zweimal im Jahr und wir sprechen sehr offen über deren Wahrnehmung und unsere Handlungsfelder.

Wie geben Sie in Zeiten multipler Krisen Orientierung?

Es ist deutlich spürbar, dass die Mitarbeitenden immer stärker wissen wollen, wie wir in den nächsten drei, fünf, oder sieben Jahren erfolgreich den Markt bearbeiten wollen. Welche Trends werden für uns als Unternehmen relevant sein? Welche Hypothesen haben wir für unser Unternehmen und was tun wir, um uns auf die Zukunft vorzubereiten?

Wir sind gefordert zu zeigen, dass wir uns mit der Zukunft beschäftigen und Themen bereits heute auf den Weg bringen, um die SIGNAL IDUNA zukunftssicher, robust und wirtschaftlich stark aufzustellen.

Zudem wird es immer wichtiger, viel achtsamer miteinander umzugehen, feinfühliger zu sein, dem jeweils anderen gegenüber Wertschätzung zu zeigen, die Individualität anzuerkennen und Raum dafür zu schaffen, diese individuellen Stärken zur Entfaltung zu bringen. Wenn uns das nicht gelingt, dann werden die Kolleginnen und Kollegen von heute mit den Füßen abstimmen und woanders arbeiten.

Der Wettbewerb entscheidet sich schon heute darüber, wie attraktiv ich als Arbeitgeber bin. Hier spreche ich nicht über Gehaltszahlung oder Benefits, sondern es geht darum, eine Atmosphäre zu schaffen, die es jedem Einzelnen ermöglicht, sich in der persönlichen Individualität zu verwirklichen. Die Menschen wollen Ziele haben, hinter denen sie stehen können und sehen, dass sie einen großen Anteil an der Erfüllung dieser Ziele haben.

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