Transformation

Neuanfang, Komfortzonen und kleine Alltagsabenteuer

Glücksministerin Gina Schöler im Interview

Diverse Autor*innen
Januar 25, 2022
4min Lesezeit


Das neue Jahr ist angebrochen – es ist die Zeit der Vorsätze. Aber verhelfen uns gute Vorsätze wirklich zu einem glücklicheren Leben? Warum sind Veränderungen so schwer und wie können wir Veränderung meistern? Darüber haben wir uns mit Glücksministerin Gina Schöler unterhalten. Sie hat vor knapp zehn Jahren das Ministerium für Glück und Wohlbefinden gegründet und vor Kurzem ein kreatives Mitmachbuch mit dem Titel „Glück doch mal!“ veröffentlicht. Also Gina, wie werden wir 2022 noch glücklicher?

Hand aufs Herz: Hast du als Glücksministerin Vorsätze für ein glücklicheres Jahr 2022? 

Nein, ich finde Neujahrsvorsätze überbewertet. Die Leute machen das, weil es sich eben etabliert hat. Aber meine Reflexion und Planung an einen Jahrestag zu heften – sei es Silvester, der Geburtstag oder der Jahrestag in einer Beziehung – finde ich nicht notwendig. Für mich wird es dann zu sehr zu einem To-do, das es abzuarbeiten gilt. Ich sage immer, dass jeder Tag ein Neuanfang ist. Das klingt zwar kitschig, aber ich finde ein stetiges Reflektieren, Abwägen und Neustarten viel wichtiger als eine punktuelle, allumfassende Reflexion.

Besonders zu Jahresbeginn wollen viele Menschen Veränderungen in ihrem Leben anstoßen, verwerfen ihre Pläne dann jedoch wieder, sobald der Alltag einsetzt. Warum fällt uns ein wirklicher Neuanfang so schwer?

Theoretisch sind wir als Menschen so programmiert, dass wir uns ständig weiterentwickeln und Neues lernen können – Stichwort Neuroplastizität. Trotzdem halten wir uns gerne in der Komfortzone auf. Was macht die Komfortzone so genial? Warum sacken wir lieber zurück auf das gemütliche Sofa? Die Antwort ist, dass wir da sicher sind. Gerade in unsicheren Zeiten. In der Komfortzone passiert uns nichts, aber in der Komfortzone passiert eben auch nichts.  

In der Komfortzone passiert uns nichts, aber in der Komfortzone passiert eben auch nichts.

Die Frage ist außerdem, was man unter Neuanfang versteht. Muss man immer gleich den Job kündigen, den Partner wechseln, auswandern? Oder kann ein Neuanfang auch kleine Veränderungen im Alltag bedeuten? Das ist eine der größten Hürden: Wir nehmen uns zu viel vor und wollen immer alles auf einmal. Ich bin absolut dafür, groß zu träumen, aber man muss es auch herunterbrechen: Was ist der erste Schritt und wie kann man ihn gehen?  

Und zu guter Letzt hat unser Umgang mit Veränderung auch viel damit zu tun, wie wir konditioniert worden sind. Was haben uns unsere Eltern und unser Umfeld vorgelebt? Wie wurde in unserer Kindheit mit Veränderung, Loslassen, Spontanität und Kreativität umgegangen? Ich würde behaupten, dass die deutsche Kultur geprägt ist von dem Motto „Macht man halt so“ oder „Früher war alles besser“. Wir stehen Veränderung sehr skeptisch gegenüber und können uns da meiner Meinung nach einiges von skandinavischen Ländern abgucken, die tendenziell offener damit umgehen und bereitwilliger auch Risiken eingehen, um Neues auszuprobieren.

Das heißt, unsere Angst vor Veränderung ist etwas Kulturelles?

Ich würde sagen ja, zum Teil. Schon junge Menschen in Deutschland haben große Angst vor dem Scheitern. Ich glaube, da braucht es mehr Vorreiter*innen, die zeigen, dass es tausendundeine Möglichkeit gibt, wie man das Leben bestreiten und gestalten kann. Zu einem lebendigen Leben gehören viele kleine Neuanfänge, nicht nur zu Silvester.

Zu einem lebendigen Leben gehören viele kleine Neuanfänge, nicht zur zu Silvester.

Wie ist es trotz allem möglich, einen Neuanfang zu schaffen?

Ich habe vorhin schon über das Herunterbrechen von großen Zielen in kleine Schritte gesprochen. Ein guter erster Schritt kann sein, sich bewusst für Neues zu öffnen. In vielen Workshops nutzen wir die Formulierung „Sei ein Wal“. Das bedeutet: Saug erst mal alles auf, was dir begegnet. Sammle Informationen, lies Bücher, geh auf Konzerte, die du ansonsten nicht lesen oder besuchen würdest. Einfach, um zu sehen: Was macht das mit dir? Welche neuen Gedanken entstehen dadurch und was kannst du mit diesen Gedanken anfangen? Dann filtere die Essenz für dich raus und arbeite damit weiter. Eigentlich ist es der klassische Design-Thinking-Prozess: sammeln, aussortieren, Erkenntnisse generieren, experimentieren, adaptieren und integrieren – und wieder von vorne. Letztlich gilt: Man muss Dinge ausprobieren, um zu erkennen, was zu einem passt. 

Eine riesige Unterstützung während einer persönlichen Veränderung ist außerdem das soziale Netzwerk. Durch die Menschen um uns herum bekommen wir einen konstruktiven Austausch und menschliches Feedback, einen ehrlichen Spiegel oder vielleicht auch mal einen liebevollen Schubser. Unser Netzwerk kann uns aber auch eine gewisse Sicherheit bieten. Zu wissen, dass wir notfalls aufgefangen werden, macht es viel leichter, etwas zu wagen. Natürlich ist es auch wichtig, die Sicherheit in sich selbst zu finden – sich selbst zu vertrauen, zu wissen, was man kann, was einem Spaß macht und was die eigenen Werte sind. Das alles sind elementare Pfeiler, nach denen man sein Leben ausrichten kann und die einen in einem Neuanfang stützen.

Also ganz konkret: Wie gehst du Veränderungen in deinem Leben an?

Dazu kann ich von meiner aktuellen Situation erzählen: Ich weiß, dass eine Veränderung her muss in Richtung Entschleunigung. Gerade sammle ich noch Informationen: Ich rede mit vielen Leuten darüber, zeige mich menschlich und verletzlich. Dadurch bekomme ich Tipps und andere Perspektiven und merke, dass ich nicht alleine bin.  

Außerdem helfen mir visuelle Anker im Alltag. Ich habe über meinem Schreibtisch einen Klebezettel hängen, auf dem „Es ist okay“ steht. Denn es ist okay, dass ich auch mal keine Kraft habe und eine Pause brauche. Es ist okay, dass ich nicht immer funktioniere. Andere Trigger sind in meinem Haus verteilt und erinnern mich daran, dass ich mich verändern möchte. Für diese visuellen Anker kann man sich alles Mögliche ausdenken: Verträge, die man mit sich selbst schließt und aufhängt, einen Talisman, den man ins Portemonnaie steckt, oder sogar wie in meinem Fall den Badeschaum, den man prominent im Bad aufstellt.



Was mir sehr hilft, ist außerdem mein soziales Netzwerk. Ich habe Freunde, die mir Nachrichten schreiben und fragen: „Na, heute schon eine Pause gemacht?“ Sich einen Buddy zu suchen, der einen in der Veränderung unterstützt, kann ich sehr empfehlen. Es ist wichtig, das Veränderungsvorhaben mit anderen zu teilen. Dann fühlt man sich verpflichtet, es umzusetzen. Das funktioniert super für mich, weil ich immer eine Mischung aus Druck und Freiheit brauche. Verpflichtungen und Deadlines helfen mir Dinge zu erledigen, aber die Spontanität und Offenheit darf auch nicht zu kurz kommen. Man muss nicht immer alles perfekt durchplanen und zerdenken. Wenn man für die kleinen Wunder offen ist, dann werden tolle Dinge passieren, die man zuvor noch gar nicht absehen konnte. Ich nenne das Alltagsabenteuer: einfach mal täglich kleine Schritte aus der Komfortzone und weg von der To-do-Liste machen. Mal in eine Pfütze springen, einem alten Menschen ein Kompliment machen, mit den Nachbarn einen Wein trinken – und schauen, was passiert, was sich daraus ergibt und wie sich das anfühlt.

Ich nenne das Alltagsabenteuer: einfach mal täglich kleine Schritte aus der Komfortzone und weg von der To-do-Liste machen.

Was wäre also dein wichtigster Tipp für ein glückliches Jahr 2022?  

Das kann ich gut mit einem Mannheimer Ausdruck zusammenfassen: „Ned babbeln, mache!“ Oft wissen wir in der Theorie schon sehr viel, aber in die Praxis zu gehen ist der eigentlich wichtige Schritt. Es geht darum, Neues auszuprobieren. Mach einfach – und lass dich überraschen, was passiert! Im Zweifel könnte es ja gutgehen. 

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