Transformation

Wie überzeugen wir unser Gehirn, Veränderungen positiv zu sehen?

Dr. Markus Ramming über die Auswirkungen von Neurobiologie in Veränderungsprozessen

Diverse Autor*innen
August 22, 2022
Lesezeit

Als promovierter Neurobiologe, Autor und Coach setzt Dr. Markus Ramming auf Fakten: Mit 15 Jahren Erfahrung in der Forschung und mehr als zehn weiteren Jahren als Manager in der Pharmaindustrie verbindet er Forschungsergebnisse und professionelle Erkenntnisse in der Führung mit persönlichen Erfahrungen. In seinem Buch “Neuro Change” stellt er vor, wie neueste wissenschaftliche Erkenntnisse als Grundlage für persönlichen und unternehmerischen Wandel dienen können.

“Wenn wir Veränderung wollen, müssen wir unser Gehirn mitnehmen.” 

Was haben Veränderungsprozesse mit unserem Gehirn zu tun, Markus?

Die Vorgänge im Gehirn spielen eine große Rolle, wenn wir versuchen, im Privaten oder in Organisationen einen Wandel zu vollziehen. Denn hier entsteht unsere Motivation. Und nur wenn Menschen motiviert sind, sind sie bereit, sich zu entwickeln. Motivation wiederum, kann nur aufkommen, wenn die Grundbedürfnisse der Menschen befriedigt werden. Und damit meine ich keine materiellen Bedürfnisse, sondern die psychologischen Bedürfnisse. Hierzu zählen beispielsweise Beziehungen, Selbstwert oder Kontrolle. Erst mit der Befriedigung der Bedürfnisse, entsteht Bereitschaft zu Wachstum, Entwicklung und Veränderung. Und genau hier setze ich an.  
 

Und wie genau ist dein Ansatz?

Ich habe schon früh — auch bei mir selbst — beobachtet, dass es in Deutschland eine Tendenz gibt, unsere Arbeit als ein notwendiges Übel in unserem Leben zu betrachten. Das ist aber nicht nur neurobiologisch betrachtet eine wirklich schlechte Voraussetzung für die eigene Zufriedenheit oder die eigene Leistung. Einen Job haben, der Spaß macht, ist ein wirklich erstrebenswerter Zustand. Sowohl für die Einzelperson als auch für die Organisation. Mein Ziel besteht darin, dazu beizutragen, dass das, was ich jeden Tag selbst aufs Neue erfahren darf, nämlich Spaß an der Arbeit zu haben, auch anderen widerfährt.  

Das klingt nach einer wirklich spannenden Aufgabe, die du dir da zum Ziel gesetzt hast. Dann lass uns doch mal auf das Thema Neuro Change zu sprechen kommen: Wie reagiert unser Gehirn auf Veränderungen?

Wie auf so viele Fragen gibt es darauf keine Standardantwort. Die Bedürfnistheorien lehren uns, dass, wann immer ein Ereignis in der Umwelt dazu führt, dass sich jemand in seinen oder ihren individuellen Grundbedürfnissen bedroht fühlt, fast automatisch ein innerlicher Widerstand entsteht. Das äußert sich dann im Unternehmensumfeld oft so, dass die Leistung der Einzelnen spürbar sinkt, oder sich Personen sogar vollständig aus Projekten rausziehen. Manchmal führt das auch zu aktivem Widerstand gegen Veränderungen. 

Ein andere Punkt ist eher generell. Es geht um eine grundlegende Eigenschaft unseres Gehirns:  Unser Gehirn verbraucht schon etwa 20% unseres Gesamtenergieumsatzes in Ruhe. Und das, obwohl dieses Organ nur etwa 2% unseres Körpergewichts ausmacht. Weil es ein Energiefresser ist, versucht es, nicht mehr Energie zu verbrennen, als es wirklich muss. Daher liebt unser Gehirn Routinen, die deutlich energiesparender als beispielsweise das Lösen neuer Aufgaben sind. Das führt dazu, dass Menschen eher dazu tendieren, bei altbewährtem zu bleiben. Wenn dann auch noch hinzukommt, dass die eigenen Bedürfnisse nicht respektiert werden, kann das dazu führen, dass sich unser Gehirn bedroht fühlt.. Das wiederum bedeutet Stress und der mündet häufig in Widerstand. Und die typischen Reaktionen auf Stress kennen wir alle: Kampf, Flucht, Starre.

Und wie genau entsteht dieser Widerstand im Kontext von Organisationen?

Grundsätzlich ist unser Gehirn als Organ darauf ausgelegt, seine Umgebung permanent nach Bedrohungen zu abzuscannen. Jede negative Erfahrung, die wir im Leben jemals gemacht haben, ist in der Amygdala gespeichert. Sobald eine solche Erinnerung hervorgerufen wird, entsteht Stress und unser Körper wird sofort in Alarmbereitschaft versetzt. Dieser Prozess hat dann Vorrang vor allem anderen und wir können uns kaum mehr auf Anderes konzentrieren.  

Wir gehen also oftmals nicht in den Widerstand, weil wir ein vorgegebenes Ziel ablehnen, sondern vielmehr, weil die Art und Weise, wie ein Ziel kommuniziert wird und wie es erreicht werden soll für uns bedrohlich ist. Der wahre Grund für den Schritt in die Defensive könnte eben sein, dass wir uns in unseren Bedürfnissen womöglich nicht respektiert oder wertgeschätzt fühlen. Denn wird unser Bedürfnis nach Wertschätzung nicht erfüllt, werden dadurch Beziehungen in Frage gestellt und es vergeht auch der Spaß an der Arbeit. Das heißt, Change Prozesse sind in ihrem Erfolg gefährdet, wenn die Bedürfnisse einzelner nicht gesehen werden.  

Was also braucht es, damit Mitarbeitende mehr Bereitschaft mitbringen, Neues zu lernen und sich zu verändern?

Viele Menschen sind sich selbst ihrer eigenen Bedürfnisse nicht wirklich bewusst. Wenn wir jedoch lernen, uns unserer Bedürfnisse klar zu werden – sowohl auf individueller Ebene als auch als Teil einer Organisation – können wir im Umkehrschluss deutlich besser mit (positiven) Veränderungen umgehen. Wenn wir anfangen zu erkennen, was uns wirklich antreibt, können wir Widerständen deutlich besser entgegenwirken, schon bevor sie auftreten. Das Stichwort lautet hier also: sensibilisieren.  

Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Aufgabe sollte sich immer sinnhaft anfühlen. Desweiteren sollten wir einem Team stets ermöglichen, dass es sich weiterentwickeln kann. Persönliche Entwicklung ist motivierend. Geld als Anreiz ist — entgegen dessen, was viele Führungskräfte noch immer glauben — meiner Meinung nach kein guter Weg, um diese Sinnhaftigkeit zu vermitteln. Hier sollten wir auf Führungsebene einen Weg etablieren, der weit über materielles incentivieren hinausgeht.

Wie kann man aber nun die Mitarbeitenden dazu befähigen sich dieser unterbewussten Vorgänge klarer zu werden und die ‘gegenstandslosen’ Widerstände selbst zu erkennen?

Über die richtigen Fragen. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt deutlich, dass systemisches Coaching sehr hilfreich sein kann, um unbewusste Wünsche und Bedürfnisse besser zu verstehen. Das funktioniert meist, indem wir in der Gruppe über die Zukunft sprechen und mit entsprechenden Fragen und Szenarien bis zu den Bedürfnissen vordringen. Zum Beispiel könnte man fragen: “Wenn jetzt alles optimal wäre, oder wenn es richtig gut wäre, wie würde das dann aussehen?”  
So entsteht die Möglichkeit, außerhalb des Kontexts zu überlegen, was in unserem Kopf vorgeht und welche Vorstellung wir von der Arbeit haben. Dieser Perspektivwechsel bringt viel Aufschluss über die eigentlichen Bedürfnisse. Im Coaching-Setting entstehen dann meist sehr konstruktive Diskussionen, die sowohl über den Prozess als auch über die Teams viel aussagen. Die Ergebnisse setzen wir anschließend gemeinschaftlich in die Tat um. Durch das Vertrauen, das in den Sitzungen entsteht, schaffen wir einen sicheren Raum für die aktuellen Bedürfnisse und für die Sensibilisierung, sodass wir auch für die Zukunft daraus lernen und langfristig damit arbeiten können – auch weit über den Change Prozess hinaus. 

Und wie schaffen wir anstatt dessen mehr Zufriedenheit?

Hier spielen aus neurologischer Sicht, (Glücks)Hormone eine bedeutende Rolle. Ein Prinzip unseres Gehirns ist es, ein kleines Stückchen in die Zukunft schauen zu wollen und entsprechende Erwartungen zu haben. Wenn das eintritt, was wir erwartet haben, dann empfinden wir Zufriedenheit. Wenn unsere Erwartungen übertroffen wurden, dann übersteigt das diese Befriedigung nochmals deutlich. Ein unerwartetes, positives Feedback von der*dem Chef*in zum Beispiel, kann dazu führen, dass Unmengen an (Glücks)Hormonen ausgeschüttet werden. Immer dann, wenn mehr passiert, als wir erwartet haben, sind wir sehr glücklich. Zufriedenheit wird durch Botenstoffe im Kopf erzeugt. Wenn unsere Bedürfnisse erfüllt sind, ist das basale Level an Dopamin höher und wir haben ein gesteigertes Zufriedenheitsgefühl. Das sollten wir auch in Veränderungsprozessen, im wahrsten Sinne, im Hinterkopf behalten. Ein Umlernen kann stattfinden, wenn das Gehirn zufrieden ist, und somit bereit ist weiter zu lernen. Wenn wir es schaffen, stetig neue Dinge auszuprobieren und dafür mit Glückshormonen belohnt werden, hat das einen Effekt und wir trauen uns, uns außerhalb unserer Komfortzone zu bewegen. So entsteht nach und nach mehr Offenheit und die Bereitschaft dies weiter zu tun. Und letztendlich eben auch eine höhere Akzeptanz.

“Zufriedenheit wird durch Botenstoffe im Kopf erzeugt.”

Du schreibst in deinem Buch Neuro Change auch über den Botenstoff Oxytocin. Magst du das nochmal im Zusammenhang mit der Bereitschaft von Veränderungen erläutern?

Hier geht es auch wieder um die Bedürfnisbefriedigung, ähnlich wie beim Dopamin. Oxytocin spielt in zwischenmenschlichen Beziehungen eine überaus wichtige Rolle. Wenn eine zwischenmenschliche Beziehung gut läuft, wird Oxytocin ausgeschüttet. Dabei hat Oxytocin viele Funktionen: unter anderem sorgt es dafür, dass wir uns neue Informationen besser merken können, weil das Gehirn durch diesen Botenstoff in einen lernbereiten Zustand versetzt wird. Oxytocin hat aber gleichzeitig auch einen dämpfenden Effekt auf die Aktivität der Amygdala, unser Angstzentrum. Sprich, wir haben weniger Angst. Das ist ein Riesenvorteil wenn Veränderungen anstehen. Hinzu kommt, dass wir Fehler weniger ernst nehmen. Das spielt natürlich eine wichtige Rolle bei der Zusammenarbeit in Teams. Das spricht also definitiv für die Stärkung von Beziehungen im Veränderungsprozess und für die psychologische Sicherheit von Einzelnen.  

Du schreibst in deinem Buch Neuro Change, wer selbst Veränderungen erlebt hat, kann andere viel besser in der Veränderung begleiten. Was bedeutet das für Führungskräfte? Welche Art von Veränderungen sollte man erlebt haben bevor man Veränderungen begleitet?

In erster Linie geht es dabei um die eigene persönliche Entwicklung und die Fähigkeit zur Reflexion. Wer andere in einem bestimmten Prozess berät, sollte den Prozess selbst schon durchlebt haben und auch eigene Verhaltensmuster schon mal verstanden und durchbrochen zu haben. Dabei ist es wichtig zu wissen, wo man selbst steht. Und hierbei geht es nicht um das Ergebnis, sondern darum, die Herangehensweise und die Strategien zu kennen, die einen ans Ziel bringen. Je öfter man das selbst durchlebt hat, desto besser kann man andere auf ihrem ganz eigenen Weg begleiten, Veränderungen zu initiieren.  

Eine zweite Sache, die womöglich noch wichtiger ist, ist die eigenen Ängste zu kennen und zu überwinden: Wenn man es schafft, Dinge, vor denen man Angst hat, trotzdem zu tun und lernt, dass es verschiedene Strategien gibt, damit umzugehen, dann ist das sehr hilfreich für die Einordnung zukünftiger Herausforderungen.

Abgesehen von der Auseinandersetzung mit eigenen Bedürfnissen und Ängsten, also der Selbstführung, gibt es noch anderen Tipps, die du uns gerne ans Herz legen würdest?

Es mag paradox klingen, da wir viel über das Thema Veränderung gesprochen haben, aber mein Tipp ist es, sich Routinen der Selbstfürsorge zu schaffen. Also zu schauen, welche Ressourcen man hat und wie man diese optimal ausbauen kann. Wenn wir kleine Routinen im Alltag integrieren, die uns guttun, dann schafft das eine wichtige Grundlage für eine insgesamt positivere Gestaltung unseres Lebens. Diese Routinen schaffen einen kleinen Raum der Sicherheit und erlauben es uns auch außerhalb dieses sicheren Raumes offener und flexibler werden.  
Eine zweite Sache: wenn du Veränderung anstrebst, dann mach das immer mit jemandem zusammen. Denn wenn man zu zweit ist, dann wird mehr Oxytocin im Gehirn produziert, es kommt zu einem stärkeren Gefühl von Sicherheit, und im Umkehrschluss zu einer höheren Veränderungsbereitschaft.  

Für alle, die gerade nicht einem deiner Coachings beiwohnen können und mehr über deine Arbeit erfahren möchten — du veröffentlichst in deinem Podcast “Geschichten mit Herz und Hirn” regelmäßig Kurzgeschichten. Was lernen die Zuhörer*innen da? Wo setzt du da an, um das Thema aufzubereiten?

Tatsächlich habe ich mir die Frage gestellt, in welchen Situationen ich mich selbst am meisten verändere und was mich berührt. Denn darum geht es beim Thema Leadership. Wie können wir gemeinsam etwas ändern? Ich habe festgestellt, dass immer da, wo Leute ihre persönliche Lebensgeschichte erzählen, ganz viel passiert. Nicht umsonst ist Storytelling in vielen Bereichen zum wichtigen Tool geworden. Denn durch Geschichte entstehen Emotionen, und wir lernen etwas — bewusst und unbewusst. Deshalb kann man sich in meinem Podcast Geschichten anhören und sie als Tool in Workshops oder Meetings nutzen, um einen neuen Zugang zu Themen zu schaffen, Perspektiven zu wechseln und den eigentlichen Kontext zu verlassen. 

Zu guter Letzt: Was steht bei dir in Zukunft an?

Aktuell arbeite ich in Kollaboration mit insgesamt 15 Autor*innen an einem Buch zum Thema: Was Führung heute wirklich braucht. Das ist auch der Titel, unter dem es erscheinen wird. Unabhängig voneinander wurden Expert*innen aus verschiedensten Bereichen gebeten, etwas dazu beizutragen. Jede*r darf schreiben, was er oder sie vor dem jeweiligen Hintergrund der eigenen Erfahrungen denkt. Ein genialer Ansatz, um nicht zu sagen, genau der, den wir brauchen. Es gibt in unserer komplexen Welt eben kein richtig und falsch, sondern ein ständiges Lernen. Es gibt so viele Meinungen und Kontroversen und die wird es auch in dem Buch geben. Genau das ist gewollt, weil wir das auch in Veränderungsprozessen und in der Entwicklung brauchen. Wir brauchen viele Meinungen und Menschen, die offen sind und diskutieren können, damit wir uns wirklich weiterentwickeln. Ein super Ansatz, wie ich finde. Ich freue mich schon auf das Buch, wenn es Anfang nächsten Jahres wahrscheinlich rauskommt.

Dann bleiben wir ebenfalls gespannt und bedanken uns sehr für deine Zeit und die spannenden Einblicke in deine Arbeit! 

Verfasst von:

Diverse Autor*innen

Wir bei zero360 arbeiten auch interdisziplinär und ko-kreativ an unseren Publikationen. Mehr Informationen zu den Verfasser*innen findet sich am Ende eines Artikels.

Zum Profil

Einblicke, Studien und Inspiration

Erhalte unseren Newsletter

Weitere spannende Artikel